Neue CDs Kostproben vor dem Jazzfest

Bonn · Verträumte Melodien, Klassiker und schräge Klänge: Neue CDs stimmen auf das siebte Jazzfest Bonn ein.

Es sind keine zwei Wochen mehr hin, bis am 22. April das siebte Jazzfest Bonn (bis 7. Mai) beginnt. Höchste Zeit, sich in das nahende Festival einzuhören. Etliche Musiker reisen mit neuen CDs und Programmen an. Natürlich ist das Liveerlebnis immer etwas ganz Besonderes, aber wer schon mal vorfühlen will: Hier sind sechs CD-Tipps zum Jazzfest Bonn.

Lisa Bassenges „Canyon Songs“ (MPS) atmen die Leichtigkeit des Sunset Boulevard in Los Angeles, wo der Produzent Larry Klein mit Lisa Bassenges wunderbar klarer Stimme erstklassig gearbeitet hat. Man hört ein lockerleicht arrangiertes Potpourri toller US-Klassiker der 1960er und 70er Jahre, Lieder von Brian Wilson, Tom Waits, Stephen Stills, Joni Mitchell. Jim Morrisons „Riders On The Storm“ eröffnet den nostalgischen Reigen, der überhaupt nicht verstaubt, sondern ungemein frisch klingt. Mit Till Brönner (Trompete), Peter Kuzma (Hammondorgel) und anderen hat sie Spitzenleute dabei.

Ramón Valles „Take Off“ (In+Out) hebt im wahrsten Sinne des Wortes ab: Jerome Kerns Jazz-Standard „All The Things You Are“ hat man jedenfalls so noch nicht gehört, als feurigen Cocktail aus Havanna. Und Stevie Wonders „Es una Historia“ erklingt in der Interpretation des kubanischen Pianisten mit seinem Trio musikalisch ungeheuer interessant. Valle beherrscht auch die Tränendrüse: Leonard Cohens Kitschnummer „Hallelujah“ setzt der Kubaner mit Inbrunst und erwartbaren Effekten in Szene. Das Schlussstück „Kimbara Pa'Nico“ zeigt, dass Valle auch mal etwas riskiert. Mehr davon!

Lisa Simones „My World“ (O-tone music/edel) zeigt eine begnadete Soulsängerin auf dem Weg nach oben. Die Tochter der großen Nina Simone setzt fort, was sie mit dem brillanten Vorgängeralbum „All is Well“ begann: Soul, Gospel und spritziger Funk, Jazzelemente, Pop und viel afrikanisches Kolorit, dazu eine mit Bläsern, traumhafter Rhythmusgruppe und Streichern opulent gesetzte Orchestrierung, die aber nie überladen wirkt. Star des Ensembles sind fraglos Simones Stimme, ihre zu Herzen gehenden Songs und nicht zuletzt der Arrangeur von „My World“, der Musiker Hervé Samb aus Dakar.

The Fuhr Brothers ziehen mit „Reconstruction“ (Fuhrwerk) den Hut vor den großen Jazzern der Republik: Albert Mangelsdorff, Wolfgang Dauner, Manfred Schoof und Gerd Dudek werden sehr originell durchleuchtet, umgedeutet, gemäß dem CD-Titel geradezu rekonstruiert. Mangelsdorffs Klassiker „Elongate“ ist in der Fuhr-Version, zumindest in den ersten Takten, ganz der Alte. Dann machen sich Wolfgang Fuhr (Saxofon), Dietmar Fuhr (Bass), Norbert Scholly (Gitarre) und Jens Düppe (Schlagzeug) mit aller Virtuosität und Kaltschnäuzigkeit an die „Rekonstruktion“. Ein wilder Ritt. Auch was dem Quartett zu Dudeks „Green Table Speech“ einfällt, ist allererste Klasse. „Feiner kammermusikalischer Jazz, der keine überflüssigen Floskeln zulässt und ganz in sich selbst ruht“, urteilt Schoof. Auch seine „Horizons“ werden neu gezogen.

Wer Fats O mit ihrer CD „on tape“ (jazzhouse records) erstmals hört, hat Probleme, diese grob lärmende Truppe um den Sänger mit der Reibeisenstimme zu verorten. Blues ist dabei, schräger Jazz, es geht rockig und rauchig zu, Aggression hängt in der Luft, ein Aufschrei-Lied wie „Cry Out“ lässt das Blut gefrieren. Die Gruppe, die hier von Hunger und Todesangst singt und spielt, kommt aus Bogota in Kolumbien. Von Latinoflair ist aber in dieser harten Musik nichts zu spüren. Dafür gibt es Gitarrenriffs und Bläsersätze, die manchmal retro klingen, manchmal fies und brutal. Daniel Restepos rauchige, bluesige Stimme krönt den Sound dieser außergewöhnlichen Truppe.

Michael Wollnys „Klangspuren“ (ACT music) sind das Dokument zweier denkwürdiger Konzerte, die sich möglicherweise in Bonn so oder so wiederholen. 2014 spielte der Ausnahmepianist Wollny sein wunderbares Programm „Weltentraum“ bei den Leverkusener Jazztagen. Wer die Studio-CD gleichen Titels kennt und danach das DVD-Livedokument sieht, spürt, was passiert, wenn Wollny auf der Bühne agiert, wie er mit dem Material spielt. Ein Jahr später trat Wollny mit seinem Trio in Hamburg auf, zelebrierte dort das sehr intensive Programm „Nachtfahrten“, das mit der herrlichen Ballade „Questions in a World of Blue“ aus David Lynchs „Twin Peaks“ startet. Schöner kann man sich nicht aufs Jazzfest Bonn einstimmen.

Informationen und Termine:www.jazzfest-bonn.de

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