Kunstmuseum Bonn Kunst, Kitsch und kein Klischee

Bonn · Sie wolle nicht Modell für die Klischeevorstellung einer Gelsenkirchener Flohmarkttürkin sein. Mit dieser Reaktion einer Frau hatte Katharina Mayer bei ihrer Fotorecherche nicht gerechnet. Und sie fing an, ihr Projekt neu zu denken.

 Im Rausch der Muster: Foto aus der 100-teiligen Recherche-Serie von Katharina Mayer, "Getürkt", die zwischen 1992 und 1996 entstand.

Im Rausch der Muster: Foto aus der 100-teiligen Recherche-Serie von Katharina Mayer, "Getürkt", die zwischen 1992 und 1996 entstand.

Foto: Katharina Mayer

Kein Klischee, keine Persiflage. Mayers 100-teilige Serie "Getürkt" begann in der Tat auf einem Flohmarkt im Ruhrgebiet mit Aufnahmen verhüllter Frauen. Sie endete in einer Reihe, in der Frauen mit unterschiedlicher nationaler und religiöser Zugehörigkeit vor wild gemusterten KitschHintergründen posieren - auch die 1958 geborene Fotografin, einst Studentin der Düsseldorfer Becher-Schule, hüllte sich in Kopftuch und wallendes Kleid: "Mein Interesse galt der Spannung zwischen Exotik und Tarnung, das Bild als Raum und Fläche und der Mensch darin wie ein Pendel."

Inszenierung und dokumentarischer Ansatz treffen hier aufeinander, durchaus auch "Enthüllung und Verzauberung", wie eine Ausstellung im Kunstmuseum Bonn überschrieben ist. Mayer vertritt dort mit 20 Bildern ihrer "Getürkt"-Serie eine Position. Der für Fotografie zuständige Kurator, Stefan Gronert, hat ein eindrucksvolles Panorama der Ankäufe und Schenkungen zusammengestellt. 1994 begann das Haus damit, sich intensiv der Fotografie zu widmen. Herausragende Ausstellungen - man startete im engen Kontakt mit der Sammlung Wilde mit den Pionieren Blossfeldt, Renger-Patzsch und Ehrhardt - öffneten das Feld, parallel dazu wurden Werke angekauft, kamen Schenkungen ins Haus.

Gronert konzentriert sich bei seiner Auswahl auf Fotografie der 90er und des frühen 21. Jahrhunderts. Da ist das am ehesten klassische und von der Malerei abgeleitete Feld der Stilllebenfotografie. Hier begegnen die lakonischen Aneinanderreihungen von Alltagsdingen eines Christopher Muller der inhaltlich aufgeladenen Serie Renate Brandts zur Dreigroschenoper: Ein Herrenschuh, Besteck, ein schwarzer Damenslip, eine Tasse, ein Hut - reichlich Raum für Spekulationen. Hartmut Neumann hat aus Fundstücken bizarre kosmische Systeme zusammengefügt. Claudia Fährenkämper blickt in die kleinsten Strukturen, ihre "Embyo"-Serie zeigt Samenkörner in stärkster Vergrößerung. Auch Dieter Rübsaamen wendet sich dem Elementaren zu: Seine Recherche im Teilchenbeschleuniger Cern in Genf erbrachte glühende Farberuptionen.

"Enthüllung und Verzauberung" versucht ein breites Spektrum der Fotografie zu öffnen, wobei narrative Fotografie und Porträt eher unterrepräsentiert, konzeptuelle Ansätze und Dokumentarisches stärker vertreten sind. Und wenn es nur pseudo-dokumentarisch ist: Les Krims' schaurige Aufnahmen lassen offen, ob es sich um tatsächliche Tatortfotos oder um Fake handelt. Duane Michals "Self Portrait as if Dead" und seine gefesselten Frauenakte spielen auch mit dem Gruseleffekt - auf höchstem Niveau.

Die Schau serviert nicht nur fotografische Raritäten wie Sigmar Polkes farblich übermaltes Pakistan-Bild von 1974, sie erinnert in Schlaglichtern auch an besonders gelungene Ausstellungen des Kunstmuseums. Die Präsentation von Thomas Florschuetz (2004) gehörte bestimmt zu den besten Foto-Ausstellungen des Hauses, die Serie spiegelnder Fenster "Multipe Entry # 15" erinnert daran. Großartig war auch "Through the looking Brain" (2011) - zwei Blöcke von Roman Signer, darunter das hoch explosive "Fahrrad mit Raketen", rufen die Schau der Schweizer Sammlung in Erinnerung. Auch an Lewis Baltz (2011) denkt man gerne zurück: Die unterkühlten Bilder aus der Serie "Sites of Technology" stehen stellvertretend dafür. Der Kölner Galerist Thomas Zander hat sie gestiftet, andere Werke kommen aus den Sammlungen von Stetten und Posselt. Und die meisten sind Geschenke der Künstler. Ein schönes Kompliment an die Arbeit des Museums.

Kunstmuseum Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 2; bis 7. September. Di-So 11-18, Mi 11-21 Uhr. Eröffnung: heute, 20 Uhr

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