Kunst soll lebenswichtige Fragen stellen
Kasper König über seine kommende Ausstellung "Vor dem Gesetz" im Kölner Museum Ludwig
Nein, dies ist noch nicht Kasper Königs Schwanengesang am Museum Ludwig, wohl aber die letzte programmatische Ausstellung des Ende Oktober 2012 ausscheidenden Direktors. "Vor dem Gesetz - Skulpturen der Nachkriegszeit und Räume der Gegenwartskunst" heißt die am Freitag öffnende Schau. Dafür wird das Unterste zuoberst gekehrt: Die Ausstellung findet nicht wie üblich im Souterrain, sondern in den spektakulären Oberlichtsälen, "den heiligen Hallen" statt, deren Stammgäste dafür nach unten oder ins Depot ausgelagert wurden.
Keimzelle des Unternehmens war für König "ein gewisses Unbehagen am Kunst- und Museumsbetrieb. Kunst als Ware ist auf den Kunstmarktseiten der überregionalen Journale, den Auktionen und Messen mächtig vertreten - aber wo bleibt die Kunst, die lebenswichtige Fragen stellt?" Auch bei den Museumsbesuchern sieht König "zwar ein sehr waches, aber auch ahistorisch denkendes Publikum, das seinen Warhol oder Mondrian sofort scannt, den Kontext jedoch übersieht. Dabei ist es schon wichtig, ob ein Werk im Ersten Weltkrieg, in der Weltwirtschaftskrise oder um 1968 entstanden ist."
Sehr existenzielle ästhetische Erfahrung im Kunstbetrieb der 50er Jahren
Königs Grundfrage heißt: "Ist es überhaupt möglich, in dem total durchorganisierten Kunstbetrieb eine sehr existenzielle ästhetische Erfahrung zu machen, und: Wo hat es die gegeben?" Für ihn die Antwort klar: "Unmittelbar nach dem Krieg, in den 50er Jahren."
König erinnert daran, dass das Grundgesetz mit seiner Präambel "Die Würde des Menschen ist unantastbar" ohne Auschwitz nicht möglich gewesen wäre. Die künstlerische Antwort auf den Holocaust bestand in "Pathos, das in maßlosem Erschrecken wurzelte: Man nehme nur Wolfgang Borcherts ,Draußen vor der Tür'". Auch die bildende Kunst antwortete - zumal in der Skulptur - mit düsterem Ernst, wobei König etwa an Fritz Cremers "O Deutschland, bleiche Mutter" denkt. Die Antastbarkeit der Menschenwürde hat König selbst beim Ersatzdienst in der Psychiatrie erfahren - und floh vor dieser Realität nach London.
Den einen, unübersehbaren Protest gibt es heute nicht, und die zeitgenössische Kunst stellt die moralische Frage "eher über formale Brüche und ungewöhnliche Materialität als über die pathetische Geste. Klar, auch Anselm Kiefer und Jeff Koons arbeiten mit Pathos, meist ist es aber ironisch gebrochen".
König erhofft sich etwas anderes als Besuchermassen
In dieses Spannungsfeld taucht der Besucher ein und lernt von Pawel Althamer bis zu Ossip Zadkine 25 sehr unterschiedliche Positionen kennen. So wird man Wilhelm Lehmbrucks todmüden "Sitzenden Jüngling" oder Gerhard Marcks' "Gefesselten Prometheus" sehen - Beispiele einer bewussten Form- und Materialstrenge, doch eben auch das spielerisch-grausame, sehr irritierende Tier-"Carousel" von Bruce Nauman. Der 68-jährige König hat als Ausstellungsmacher mit "Westkunst" (1981) oder "Von hier aus" (1984) Positionslichter gesetzt, "aber das war jeweils in großen Messehallen, hier gehen wir in die Institution Museum selbst und können Fragen nach dem Kanon oder dessen Unsinnigkeit stellen".
Dass man sich für dreidimensionale Kunst entschied, ist kein Zufall. Als Kurator der "Skulptur Projekte Münster" weiß der Direktor, "dass die Plastiken im öffentlichen Raum immer härter diskutiert werden als Gemälde". Griffige Botschaften soll der Besucher nicht unbedingt mitnehmen - "wir führen nur zu entscheidenden Fragen, wie es ja auch Kafkas Parabel ,Vor dem Gesetz' tut". König erhofft sich von der aufwendigen, zuvor zwei Mal verschobenen und schwer zu finanzierenden Schau zwar nicht unbedingt Besuchermassen, "aber eine gewisse Nachhaltigkeit".
Die Siemens-Stiftung sowie die Kulturstiftung der Länder ermöglichen das ehrgeizige Projekt, das nicht Königs letzte Ausstellung in Köln ist. "Zum Schluss, im nächsten Herbst, möchte ich unter dem Titel ,Ein Wunsch bleibt immer übrig' all unsere Ankäufe der letzten zwölf Jahre zeigen."