Kupferstichkabinett Berlin zu Gast im Kunstmuseum Bonn

"Gefühl ist Privatsache" heisst die aktuelle Ausstellung des Kunstmuseums Bonn. Sie widmet sich der Kunst der Neuen Sachlichkeit, der Malerei und Zeichnung zwischen den Weltkriegen: Eine spannende, ungeheuer produktive und extrem polarisierende Epoche der Kunst.

Kupferstichkabinett Berlin zu Gast im Kunstmuseum Bonn
Foto: Museum

Bonn. Er schreibe "nicht für jeden Abschaum, der Wert darauf legt, dass ihm das Herz aufgeht", wetterte Bertolt Brecht 1926 im Interview: "Das Gefühl ist Privatsache und borniert. Der Verstand hingegen ist loyal und relativ umfassend."

Brecht erfasste damit nicht nur den Geist der Zwanziger Jahre, er gab auch der aktuellen Ausstellung des Kunstmuseums Bonn das Stichwort zum Titel: "Gefühl ist Privatsache" widmet sich der Kunst der Neuen Sachlichkeit, der Malerei und Zeichnung zwischen den Weltkriegen, eine spannende, ungeheuer produktive und extrem polarisierende Epoche der Kunst in Deutschland.

Eine geradezu körperliche, angeekelte Reaktion auf die "Geschwulstmystik" (Max Beckmann) des Expressionismus führte zu einer sehr zurückgenommenen, unterkühlten, vorurteilsfreien Bestandsaufnahme der Wirklichkeit: "Kunst machten die Expressionisten genug", meinte Otto Dix, "wir wollten die Dinge ganz nackt, klar sehen, beinahe ohne Kunst." Das kann man fast wörtlich nehmen. Die Neue Sachlichkeit ist die Zeit der Entblätterung: Feiste Freier und füllige Prostituierte, knabenhafte Mädchen und stiernackige Vertreter der "guten Gesellschaft" sind zu sehen, selten hat die Kunst so brutal und schonungslos das Gesicht einer Epoche entstellt und gleichzeitig entlarvt.

Die grandiose Ausstellung, die rund 130 Blätter aus dem renommierten Kupferstichkabinett Berlin und 35 Gemälde verschiedener Leihgeber und aus Bonner Museumsbesitz zeigt, startet mit drastischen Zeichnungen und Radierungen, die das Trauma des Krieges in gespenstischen Motiven spiegeln. Auf den Totentanz von Dix folgt der "Aufstand der Irren" von George Grosz, der den Krieg der Schützengräben in die Häuserschluchten von Berlin trägt. Grosz verkörpert wie kein anderer den politischen Part der Neuen Sachlichkeit.

Seine Mappenwerke "Ecce Homo", "Gott mit uns" und "Die Räuber" zeichnen das Porträt einer durch und durch verrohten, korrupten Gesellschaft, in der nur die Macht des Stärkeren zählt, sich die Vorkriegseliten und Kriegsgewinnler das Terrain aufgeteilt haben. Otto Griebel, Georg Scholz, Heinrich Ehmsen und Dix haben neben Grosz die Kriegskrüppel und Kokotten, die Reichen und Zukurzgekommenen in einer beispiellosen Drastik dargestellt.

Der Klassenkampf und die unter anderem im Fall von Grosz immer wieder vom Staatsanwalt verfolgte linke Agitation verkörpern einen Zweig der Neuen Sachlichkeit. Der andere ist so etwas wie der Versuch, das durch den rauschhaften Expressionismus und das Trauma des Krieges aus dem Lot geratene Bild der Welt neu zu sortieren und auf solide Beine zu stellen. In ganz Europa sind nach 1918 ähnliche Tendenzen spürbar. Die Neue Sachlichkeit knüpft an alte Traditionen und Genres an:

Die Bonner Ausstellung zeigt brillante Werke der Porträtkunst, vor allem von Dix, aber auch von Christian Schad, dessen barbusiger Halbakt aus dem Von-der-Heydt-Museum Wuppertal einer der Stars der Schau ist, und von Werner Peiner. Sein Porträt der Künstlergattin ist ein nur selten gezeigtes Werk aus der Bonner Sammlung. Stillleben und Landschaft, Akt und Impression aus der Großstadt: In jedem Bereich war die neue Kunst um Sachlichkeit bemüht.

Die Schau endet mit beklemmenden Zeichnungen von Alice Lex-Nerlinger, die als "Politische" 1933 verhaftet wurde und ihre Impressionen auf Papier brachte. Das ist Teil der Antwort auf die Frage, was die Neue Sachlichkeit mit der Blut-und-Boden-Malerei der Nazis gemein hat. Letztlich sehr wenig: Ihr fehlten das hohle Pathos und die völkischen Tugenden, die die Nazis in ihre gleichgeschaltete Kunst injizierten. Und stählerne Herrenmenschen sucht man in der Neuen Sachlichkeit, die häufig das traumatisierte, desorientierte Individuum im Blick hatte, vergebens. Das wiederum missfiel den Nazis: Sie brandmarkten viele Maler der Neuen Sachlichkeit als "Entartete".

Dialog und Querpass Die Ausstellung "Gefühl ist Privatsache" wird heute, 20 Uhr, im Kunstmuseum eröffnet. Bis 15. Mai sind die Blätter aus dem Kupferstichkabinett Berlin zu sehen (Di-So 11-18, Mi 11-21 Uhr). Der Imhof-Verlag hat einen Katalog zur Ausstellung herausgegeben (35 Euro). Kurator Volker Adolphs führt am 20. Februar, 11 Uhr, durch die Schau, Kay Heymer, Museum Kunstpalast Düsseldorf, ist am 23. Februar, 19 Uhr, "Im Dialog" zu erleben. Der ehemalige Bonner Kulturdezernent Ludwig Krapf übernimmt den "Querpass" am 6. April, 19 Uhr.

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