Premiere in den Kammerspielen Laues Lüftchen

Gavin Quinn inszeniert Shakespeares „Sturm“ in den Kammerspielen. Der Regisseur macht es sich zu einfach und den Schauspielern zu leicht.

 Der Luftgeist hat schwer zu tragen an seinen Flügeln: Laura Sundermann als Ariel. FOTOS: THILO BEU

Der Luftgeist hat schwer zu tragen an seinen Flügeln: Laura Sundermann als Ariel. FOTOS: THILO BEU

Foto: Thilo Beu

Ganz am Ende dieser abwechselnd ärgerlichen, flachen und klamaukigen, Publikum und Schauspieler unterfordernden „Sturm“-Inszenierung kam die Regietheaterklischeemaschine in den Kammerspielen doch noch zum Stillstand. Es war 21.50 Uhr, als Birte Schrein in der Rolle der Prospero das Bild einer Frau zeichnete, die Abschied nahm: von Schöpferkraft und Gestaltungsmacht, vom Leben („Verzweiflung ist mein Lebendend“). Die Erkenntnis einer alternden Magierin, dass sich ihr spielerisches Wirken ebenso in dünne Luft auflöst, wie die ganze Welt einst wie ein leeres Schaugepränge verschwinden wird, drückte Schrein in einer intensiven Verzweiflungsminiatur aus. Ein kunstvoller, atemberaubender Moment.

Auf diese Pointe musste das Publikum knapp 140 Minuten warten, Pause inklusive. Der irische Regisseur Gavin Quinn hat für seine Inszenierung von Shakespeares „Sturm“ auf Jens Roselts Übertragung zurückgegriffen: Sie kommt der heutigen Sprechkultur mit Wendungen wie „Fick dich“, „Hurensohn“ und „Beziehungen sind Bullshit“ sehr nahe. Die Bühne von Aedín Cosgrove erscheint mit viel Holz zeitlos und abstrakt; sie erlaubt mit vielen Lücken geschmeidige Auf- und Abgänge.

Für Quinn ist der „Sturm“ vor allem ein Stück über die Macht der Kreativität. Sprechen wir von der Kreativität der Regie. Regelmäßige Theatergänger kennen das, was in den Kammerspielen zu besichtigen ist, aus dem Effeff: Bühnenaktionismus, Slapstickeinlagen, Säufersimulationen und hingeworfene Assoziationen. Der Regisseur mach es sich zu einfach und den Schauspielern zu leicht.

Worum geht es im „Sturm“? Shakespeare erzählt von Prospero, die (bei Shakespeare der) als Herzogin des prosperierenden Mailand über ihren Büchern ihre politischen Pflichten vergaß und deshalb von ihrem Bruder Antonio (Wilhelm Eilers) ab- und zusammen mit Tochter Miranda in einem morschen Kahn auf dem Meer ausgesetzt wurde.

Prospero landete auf einer Insel, stieg durch intellektuelle Magie zur Herrscherin über Natur, Luftgeist Ariel (Laura Sundermann) und den missgestalteten Sklaven Caliban (Alois Reinhardt) auf. Für ihre alten Gegner inszeniert Prospero nun einen Sturm, sie erleiden Schiffbruch, finden sich auf der Insel wieder, schmieden diverse Mordkomplotte und werden am Ende der Macht Prosperos gewahr. Sie lässt Gnade walten, und es kommt zur Hochzeit zwischen Miranda (Lydia Stäubli) und dem Königssohn Ferdinand (Philipp Basener).

Shakespeare widmet sich im „Sturm“ seinen Lebensthemen Rollenspiel sowie Schein und Sein. Er lässt in den Worten Gonzalos (Barbara Teuber) eine Utopie sich sprachlich entfalten: die Vision von einer herrschaftsfreien Trauminselgesellschaft – „alle Männer müßig, alle; / Die Weiber auch“. Vom Weinbau will Gonzalo allerdings nichts wissen, das trübt das Vergnügen an seinen Worten.

Die Inszenierung, die neben den Genannten bewährte Kräfte wie Ursula Grossenbacher (Alonso), Glenn Goltz (Sebastian), Hajo Tuschy (Trinculo) und Sören Wunderlich (Stephano) unter Wert beschäftigt, reagiert mit platten szenischen Reflexen auf die Angebote des Stückes. Prosperos der Wirklichkeit enthobene Insel erscheint hier als abweisender Ort, wo Utopien im Müll landen: Caliban kann in Plastikabfällen baden. Von wegen schöne neue Welt.

Das monströse Wesen führt auch das Wort „Freiheit“ im Fischmaul. Caliban verfremdet es in einer Folge von Urschreien fast bis zur Unkenntlichkeit. Der Regisseur Quinn traut dem Freiheitsbegriff offenbar nicht viel zu. Miranda und Ferdinand sind eigentlich ein Liebespaar, aber mit Videobrillen, die sie unmotiviert tragen müssen, bleibt jeder für sich allein. Man kann das als Warnung vor den Folgen der Digitalisierung verstehen. Und so weiter. Dieser Abend gleicht einem Marsch durch die Ebene. Eine produktive Beschäftigung mit Shakespeare hat jedoch viel von einer Bergtour. Unterhaltung und Erkenntnis sind bei diesem Autor fürs Publikum nicht ohne Anstrengung zu haben. Doch die Sicht vom Gipfel entschädigt für die Mühen des Aufstiegs.

Die nächsten Aufführungen: 5., 10., 15., 25. und 31. März. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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