Kunsthalle Düsseldorf "Leben mit Pop": Frühe Kunstaktionen von Richter, Polke & Co.

DÜSSELDORF · Auch Giganten haben klein angefangen. Am 2. April 1964 schrieben Gerhard Richter und Manfred Kuttner an den NRW-Kultusminister mit der Bitte, "uns mitzuteilen, wo wir als freie Maler innerhalb einer Gemeinde, einer Stadt oder des Landes nutzbringend eingesetzt werden können".

 Die "Boxer" malte Konrad Lueg im Jahr 1964.

Die "Boxer" malte Konrad Lueg im Jahr 1964.

Foto: VG BILD-KUNST/STEINFELD

Eine Antwort ist nicht überliefert, und so blieben die jungen Künstler auf Selbstvermarktung angewiesen. Das hatten sie schon im Mai 1963 versucht, als sie mit Sigmar Polke und Konrad Lueg für zwei Wochen eine leerstehende Metzgerei in der Düsseldorfer Kaiserstraße mieteten (Kosten: 40 Mark) und "die erste Ausstellung deutscher Pop-Art" auch der "Wochenschau" ans Herz legten.

Solche einfallsreichen Aktionen sind nun in der Düsseldorfer Kunsthalle nachzuerleben. Auch Richter, Polke & Co. surften seinerzeit auf der wilden Fluxuswelle. Konsequenteste Tat: "Leben mit Pop - eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus", die am 11. Oktober 1963 im Möbelhaus Berges in der Landeshauptstadt begann. Der Besitzer wollte Publizität, dachte aber danach eher an eine Strafanzeige.

Die Besucher (130 an zwei Abenden) mussten zunächst in einem "Wartezimmer" Platz nehmen, in dem Hirschgeweihe von Richters Schwiegervater hingen. Man bestaunte John F. Kennedy und den Galeristen Alfred Schmela als Pappfiguren und betrat sodann einen Raum, in dem sich Richter und Lueg sich selbst ausstellten. Beide sahen in einem mit Möbelpodesten verfremdeten Wohnzimmer "Tagesschau", die - Glücksfall für die kritischen Künstler - Konrad Adenauers Abschied als Bundeskanzler behandelte. Gemälde waren unter die Möbel gemischt, letztere überstanden das alles nicht unbeschadet. Immerhin, das Duo hatte mit dem Happening seine bösen Fußnoten zum Wirtschaftswunderland prominent platziert.

In der Dokumentation solcher Aktionen liegt die Stärke der Schau. Da Polke und Richter später steile Karrieren machten, können die einst schwer vermittelbaren, heute unbezahlbaren Werke nur als Reproduktion gezeigt werden: Polkes "Bäckerblumen"-Blick auf süße Berliner, Richters blutig eskalierte "Party", Kuttners "Boxer" und Luegs "Omovertreter". Mit "Mustang-Staffel" und "Motorboot" sind frühe Ikonen von Richters Foto-Gemälden zu sehen, ergänzt durch ein ironisches Manifest: "Alle Maler und überhaupt alle sollten Fotos abmalen. Das müsste circa 400 Jahre so gehen, und dann müsste das Abmalen von Fotos in Deutschland verboten werden."

Die Kunstkritik reagierte in den 60ern reserviert, ein Rezensent warf Polke und Richter etwa "moritatenhafte Banalitäten" vor. Sogar bei den Avantgardegalerien mussten die Künstler selbst die Initiative ergreifen. An einem Wintertag Anfang 1964 fuhren Kuttner, Lueg, Polke und Richter nach Wuppertal und legten im Vorgarten der Galerie Parnass ihre Bilder (darunter Richters "Neuschwanstein") dicht an dicht auf den verschneiten Rasen. Ein spektakulärer Auftritt, der das Galeristenpaar Rolf und Anneliese Jährling überzeugte.

An deren Ausstellung nahmen allerdings dann nur drei Maler teil. Manfred Kuttners Arbeiten hatte man noch am gleichen Tag in den Garten des Leverkusener Schlosses Morsbroich geschafft. Eine Ausstellung ergab sich dort nicht, und Kuttner ging fortan eigene Wege. Auch für die späteren Kölner Kunststars wuchsen die Bäume seinerzeit nicht in den Himmel: Gerhard Richters Werke rangierten bei Parnass zwischen 400 und 1600 Mark, Sigmar Polkes lagen ein wenig darunter.

Bis 29. September, Di-So 11-18 Uhr geöffnet. Grabbeplatz 4. www.kunsthalle-duesseldorf.de.

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