Wolfgang Kubin 75 Liebe zu zwei Welten

Bonn · Der Bonner Sinologe und Lyriker Wolfgang Kubin wird 75 Jahre alt. Feines Sprachgefühl für die deutsche und chinesische Sprache.

 Der Bonner Sinologe Professor Wolfgang Kubin.

Der Bonner Sinologe Professor Wolfgang Kubin.

Foto: Volker Lannert

Bei einer Lesung hatte der Bonner Sinologe, Lyriker und Übersetzer Wolfgang Kubin einen graugrünen Stein in der Hand. Er sinnierte: „Er ist rund, hat keinen Anfang, hat kein Ende. Er ist in sich, ruht in sich.“ Der anwesende GA-Kritiker notierte: „Kubin zeigt ein sehr kurzes, sehr rares Lächeln.“ In Kreuzberg, im West-Berlin um 1980, wo er damals lebte und lehrte, führte Kubin aus, „benutzte man Steine zum Fenster einwerfen. In Japan ist ein Stein ein ästhetischer Gegenstand.“ Ein einfaches, einprägsames Bild, das einen Blick auf fundamentale Gegensätze zwischen China und den Westen erlaubt. Kubins Lebenswerk ist damit verknüpft, sein feines Sprachgefühl und die profunde Kenntnis des Chinesischen und Deutschen prägen seine Kommemtare und Übersetzungen. Am Donnerstag wird er 75 Jahre alt.

Lehre in Bonn und China

Kubin wurde 1945 in Celle geboren. Er studierte evangelische Theologie in Münster, anschließend Japanologie, Germanistik, Philosophie und chinesische Sprache in Wien und Bochum. Kubin erhielt 1985 einen Ruf für eine Professur für Chinesisch an der Universität Bonn, wurde ferner 1989 zum Professor für Moderne Sinologie und 1995 zum Professor für klassische Sinologie berufen. Parallel arbeitete er an verschiedenen chinesischen Universitäten.

Kubin hat Zeitschriften und Anthologien herausgegeben, chinesische Lyrik übersetzt (auch von Dissidenten), eigene Gedichte und Essays unter Titeln wie „Das neue Lied von der alten Verzweiflung“, „Narrentürme“, „Schattentänzer“, „Halbzeit einer Liebe“, „Unterm Schnurbaum. Deutsch-Chinesische Wahlverwandtschaften“ publiziert. Etliche Werke erschienen im Bonner Weidle Verlag. Seine „Geschichte der chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert“ gilt als Standardwerk.

Grüblerischer Melancholiker

In Kubins Gedichten, so schrieb der Diplomat und Lyriker Joachim Sartorius, entdecken wir „einen grüblerischen Melancholiker, der ein genaues Auge hat, die Gabe zur bitteren Lakonie in extremer Verknappung, einen Moralisten, der nie moralisiert und uns ernste, oft hart gefügte, spröde Gedichte schenkt, die wenig Duldsamkeit mit dem Leser haben (...). Es ist ein Dreiklang von geschichtlichem Bewusstsein, rationaler Gestaltung und strengem Austausch von Sprache mit der realen Welt, der Kubins Gedichte reich, weil nach allen Seiten für Assoziationen offen macht.“

Der mehrfach ausgezeichnete Kubin gilt als fleißiger, systematischer Text-Arbeiter: In einem Interview gab er zu Protokoll: “Ich schreibe gleichzeitig mehrere Bücher. Morgens (zwischen vier und sechs Uhr) Lyrik und Essays. Vormittags wissenschaftliche Bücher. Nachmittags übersetze ich, abends schreibe ich Erzählungen.“

Kritik an der chinesischen Literatur

2009 begleitete ihn die „taz“ auf eine Buchmesse in China: „Auf der Buchmesse ist er ein Star – ein stiller allerdings, trotz der neun Auftritte, die er zwischen Mittwoch und Sonntag zu bewältigen hat.“ Die Kondition dafür holt sich der drahtige Intellektuelle beim Fußballspiel. Die indirekte, verklausulierte Rede sei nicht Kubins Sache, schreibt die „taz“. Auf der Buchmesse habe ihm ein junger chinesischer Schriftsteller vorgeworfen, er halte sich nicht an die chinesische Etikette. Kubin beschied den Schriftsteller, so die „taz“, gerade weil er die chinesischen Schriftsteller so schätze, kritisiere er sie dort, wo es nötig sei. Kubin eckt an, auch der Hinweis, die chinesische Nachkriegs-Literatur habe zuerst den Anschluss an die Moderne verpasst, sich dann nach 1992 auch noch von der Tradition verabschiedet, bringt dem Bonner Sinologen Kritik ein. Trotzdem verlieh ihm das Land 2007 den chinesischen Staatspreis.

Wie er den ganzen Kulturstress aushält, wissen wir nicht. 2014 jedenfalls publizierte er unter dem Titel „Die Geschichte eines Flachmanns“ Essays über den Kaolin-Likör und andere Schnäpse aus China. Die Kritik lobte damals seine Liebeserklärung und seine hochprozentigen Betrachtungen. Prost.