Werkstatt des Bonner Theaters Liebeshändel-Abend: Sebastian Schug inszeniert Arthur Schnitzlers "Anatol"

BONN · In Arthur Schnitzlers "Anatol" ist die Titelfigur ein Wiener Dichter mit viel Zeit und Energie für immer neue Liebesabenteuer. Der von Melancholie angekränkelte Anatol ist ein unsteter Lover, aber er leidet unter Trennungen und dem traurigen Verglimmen der Leidenschaft.

 Anatol und eine seiner vielen Eroberungen: Szene mit Benjamin Berger und Julia Keiling.

Anatol und eine seiner vielen Eroberungen: Szene mit Benjamin Berger und Julia Keiling.

Foto: Thilo Beu

Er zweifelt an der Treue seiner Freundinnen, fühlt sich betrogen. Irgendwie gefällt ihm der Schmerz, der ihn erfüllt, und es macht ihm Spaß, sich wort-, empfindungs- und gedankenreich darüber mit seinem Freund Max auszutauschen. Sage noch eine(r), Männer würden nicht reden.

In Sebastian Schugs Inszenierung in der Werkstatt des Bonner Theaters ist Anatol (Benjamin Berger) weit von Wien und der ersten Aufführung aller sieben Einakter 1910 entfernt. Anatol und Cora (Johanna Falckner) sehen aus, als seien sie gerade frühmorgens aus einem Berliner Techno-Club getaumelt: er im Unterhemd, sie szenig blass und mit Sonnenbrille.

Auf Christian Kiehls Bühne, die zunächst von einer schwarzen Stoffwand verdeckt ist, stehen Verstärker, Mikrofone, akustische Gitarre und E-Bass. Max (Samuel Braun), Anatols zynisch-frivoler Dauerdialog-Partner, singt "Everytime" von Britney Spears. In der Werkstatt klingt der Song wie ein elektronisch verfremdetes Lamento übers Verlassenwerden.

Später gibt es auch noch Robyns "Dancing On My Own" von Julia Keiling zu hören und "Listen To Your Heart". Mit dem von allen vier Schauspielern live dargebotenen Hit der Band Roxette endet der 90-minütige Abend fulminant. "Love Is A Battlefield" von Pat Benatar hätten sie auch singen können, denn Beziehungen erscheinen hier häufig wie Duelle. Liebe bedeutet immer auch Krieg.

Der Bonner "Anatol" ist vor allem schauspielerisch reizvoll. In einem von der Regie als cool definierten Ort zwischen Konzertsaal und Theatergarderobe schwitzt Bergers Anatol seine Schuldkomplexe aus ("Das alles tut so weh") und irrlichtert von Frau zu Frau. Und mehr noch.

Nicht nur Frauen fühlen sich von diesem schönen Mann angezogen. Freund Max ist scharf auf ihn, und mit einem gewissen Bianco (Bianca bei Schnitzler) hat er offenbar auch Sex gehabt. Benjamin Berger schlüpft kurz mit angepapptem Schnurrbart in die Rolle des schwulen Bianco.

Das muss man nicht allzu ernst nehmen. Sebastian Schug lässt dafür in einer originellen Szene verflossene Geliebte Anatols aufmarschieren, die amouröse Vergangenheit machen Julia Keiling und Johanna Falckner wie auf einem Laufsteg physisch erfahrbar.

Arthur Schnitzler ist der Dichter der Resignation und des Scheiterns. Die von ihm erschaffenen Gestalten ahnen schon die Vergeblichkeit ihres Tuns und die Vergänglichkeit ihres Daseins. Liebe, das zentrale Motiv bei Schnitzler, steht in seinen Werken stets in engem Zusammenhang mit dem Tod.

Antrieb der erotischen Bemühungen der Figuren ist dabei nicht die Vision von Glück und ewiger Leidenschaft, sondern oft nur die einfache Frage, wie es im "Reigen" heißt, "ob wir morgen noch Leben haben" werden.

Das "Anatol"-Ensemble ist den Herausforderungen des Autors gewachsen. Benjamin Berger ist ein Mann im Existenzfieber, innerlich verzehrt von seinen unauflösbaren Widersprüchen. Samuel Braun als Max kann messerscharf psychoanalysieren, leidenschaftlich empfinden - und verdrängen.

Julia Keiling hat starke Momente als fremdgehende Ehefrau, die sich den totalitären Wünschen Anatols indes nicht vollkommen ausliefern will. Johanna Falckner ist als "böse Mondaine" eine Frau mit unerfüllten Träumen, erfüllt von der Sehnsucht, ebenso lieben zu können wie das "süße Mädl" aus der Vorstadt. Viel Premierenapplaus.

Info

Die nächsten Aufführungen: 17. und 30. September; 2. und 22. Oktober. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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