Linkin Park: Im Rausch der Musik

Die kalifornische Band Linkin Park stellt in der Kölner Lanxess-Arena ihr ungewöhnliches neues Album vor. Die Gruppe um Chester Bennington gehört mit seinem hymnisch-heftigen Mix aus Rap und harten Gitarren zu den erfolgreichsten Rockbands der vergangenen Jahre.

 Chester Bennington, der 34 Jahre alte Sänger von Linkin Park, im GA-Interview.

Chester Bennington, der 34 Jahre alte Sänger von Linkin Park, im GA-Interview.

Foto: dpa

Das Hotel Sunset Marquis liegt im Westen Hollywoods und besteht aus lauter kleinen Bungalows. In einem davon sitzt Chester Bennington. Der 34 Jahre alte Sänger von Linkin Park gibt Auskunft zu "A Thousand Suns“, dem neuen Album seiner Band. Linkin Park gehört mit seinem hymnisch-heftigen Mix aus Rap und harten Gitarren zu den erfolgreichsten Rockbands der vergangenen Jahre, zu den großen Hits zählen etwa „In The End“, „What I’ve Done“ und „New Divide“.

Die neue Platte verstört deshalb zunächst. Deutlich weicher und introvertierter wirkt der überwiegende Teil der sechs Songs, die Gitarren sind fast ganz raus, auch gerappt wird nur wenig. Stattdessen erinnern die symphonisch und elektronisch gehaltenen Songs an eine Mischung aus Depeche Mode und Nine Inch Nails mit einem kleinen Hauch Elton-John-Einfluss. Was die Band sich dabei gedacht hat, erklärt Bennington im Gespräch mit General-Anzeiger-Mitarbeiter Steffen Rüth.

General-Anzeiger: Chester, “A Thousand Suns” hört sich unerwartet anders an. Wie kommt’s?

Chester Bennington: Absicht. Wir wollten etwas schaffen, das anders ist und sich trotzdem noch anfühlt wie Linkin Park. Etwas, das unsere Kreativität herauskitzelt.

GA: Ist das eine Reaktion auf den Trend, dass Alben immer unwichtiger werden und es den Leuten sowieso nur noch um einzelne Songs geht, die sie runterladen?

Chester: Es kam uns durchaus der Gedanke, jedes Lied einzeln rauszubringen – in kleineren Dosierungen nach und nach. Ich möchte niemandem vorschreiben, wie und wo er sich seine Musik besorgt. Das geht mich nichts an. Aber was wir wollten, war ein Album, das so aufregend ist, dass du es freiwillig komplett anhörst.

GA: Wie siehst du „A Thousand Suns“ stilistisch?

Chester: Wir haben einen Weg gefunden, aggressiv zu klingen, ohne harte Gitarren zu benutzen. Die Gitarrenarbeit auf diesem Album ist eher subtil, auch mein Gesang ist vielschichtiger. Musik und Text sind sehr bildhaft. Wir wollten, dass die Leute eine multiple Ekstase bekommen, wenn sie dieses Album hören. (lacht)

GA: Zum Beispiel beim Song “Hold on” mit seinem hymnischen Piano-Intro?

Chester: Yeah, das ist ein Lied, das dein Gehirn vor lauter Klangeindrücken fast verrückt werden lässt. Wir sind ja bekannt für introvertierten Texte, die sich immer wieder um meinen Kampf mit mir selbst gedreht haben – sei es meine frühere Drogensucht, die Probleme, die ich mit meiner Familie oder in meinen Liebesbeziehungen hatte, oder auch die Unsicherheit, die ich immer wieder spürte. Auf dieser Platte machen wir das etwas anders. Wir haben quasi das Fenster zur Welt geöffnet und kombinieren das Außen mit dem Innen.

GA: Vielen Menschen geht es so: Je verrückter die Außenwelt erscheint, desto mehr Mühe geben sie sich, eine eigene kleine, heile Welt aufzubauen. Trifft das auch auf dich zu?

Chester: Definitiv. Ich glaube an die Balance zwischen Gut und Böse, zwischen Yin und Yang. Solche ausgleichenden Kräfte sind notwendig, um das ganze Universum am Laufen zu halten. Aber was uns als Menschen angeht, hast du Recht: Je böser die Welt wird, desto wichtiger sind Werte wie Liebe und Glück.

GA: Also alles gut zu Hause mit Frau und Kindern?

Chester: Oh ja, das Leben ist wundervoll. Mein Ältester ist 14, sein Bruder gerade 13 geworden, die anderen beiden sind acht und vier Jahre alt.

GA: Mögen die Jungs denn Linkin Park?

Chester: Die Kleinen hören alles gerne. Der Älteste hat sich selbst beeigebracht, wie man Klavier spielt und Noten liest. Auch der Achtjährige will Gitarre lernen. Der kam neulich und meinte: “Daddy, ich habe meinen ersten Song geschrieben.” Er sang mir die Melodie mit Text vor, alles von ihm. Mir sind vor Glück fast die Tränen gekommen. Das war eines dieser Ereignisse im Leben, die einem klar machen, dass man das Leben einfach lieben muss. Weil es magisch ist.

GA: Bei Linkin Park seid ihr sechs meinungsstarke Charaktere. Gibt es oft Diskussionen über die musikalische Ausrichtung?

Chester: Streits versuchen wir zu vermeiden. Gerade bei einer neuen Platte gibt es natürlich endlose Besprechungen. Sobald du Kunst machst, für die du nicht komplett alleine verantwortlich bist, wenn du also kein Buch schreibst oder kein Bild malst, dann musst du dich darüber austauschen, was du machen, was du erreichen willst.

GA: Was wolltet ihr mit “A Thousand Suns” genau erreichen?

Chester: Es galt die Devise: Lasst uns Musik machen, die so klingt, als hätten wir im Studio sämtliche Drogen genommen, die es gibt. Wir drehten kreativ durch, ließen uns treiben. So kamen wir immer weiter weg vom üblichen Trott. Plötzlich waren die harten Songteile nicht mehr gleichbedeutend mit elektrischer Gitarre und Verstärker. Sie konnten durch alles entstehen. Was diese Grundidee angeht, waren wir uns alle einig, insofern gab es keine Meinungsverschiedenheiten.

GA: Habt ihr Drogen genommen?

Chester: Nein, haben wir nicht! Ich bin zum Glück von den Drogen runter, und die anderen möchten gar nicht erst damit anfangen.

GA: Also nicht einmal etwas Gras beim Reggae “Waiting For The End To Come“?

Chester: Nicht einmal das. Ist einfach nicht unser Ding. Stattdessen haben wir das Studio dekoriert mit herrlichen Lichtern und Kunst aller Art. Einmal hatten wir 3.000 Luftballons im Studio verteilt, um in Stimmung zu kommen und so eine Aura des “Das ist einfach nicht normal” zu schaffen. Ballons hellen dich auf, sie machen einfach Spaß.

GA: Hört sich an wie ein Spielplatz.

Chester: Exakt. Ikea-Spieleparadies für erwachsene Männer (lacht).

GA: Das letzte Album war eine schwere Geburt. Ging’s jetzt leichter?

Chester: Ja. Klar gab es Momente, die nicht leicht waren. Denn: Irgendwann willst du an die Außenwelt treten. Deshalb haben unser Produzent Rick Rubin und wir es vermieden, vorher eine Deadline zu setzen. Die Kunst ist fertig, wenn die Kunst fertig ist. Druck funktioniert nicht.

GA: Du bist Fan von Depeche Mode. Was man auf dem neuen Album auch hört, oder?

Chester: Ja, ich mag Depeche Mode. Überhaupt zieht mich bei den meisten Musikern das elektronische Element ihres Schaffens an.

GA: Woran mag es liegen, dass ihr seit zehn Jahren zu den größten Rockbands der Welt gehört?

Chester: Die Musik selbst sowie die enge Verbindung zu den Fans sind am wichtigsten. Zudem sind wir sechs durchweg ehrgeizige Musiker. Linkin Park besteht nicht aus einem oder zwei kreativen Meistern, während der Rest der Band gelangweilt herumsteht.

GA: Und damit überlebt man alle Trends?

Chester: Das frage ich mich selbst. Da draußen sind jede Menge Bands, die genauso erfolgreich sein sollten wie wir – und sie verkaufen vielleicht 10.000 Alben im Jahr. Man steckt nicht drin. Musik ist eine seltsame Sache.

GA: Du hast eine Kette mit Tätowierungsstudios gegründet. Wie läuft “Club Tattoo”?

Chester: Super. Wir machen gerade einen weiteren Laden in Las Vegas auf und wollen nach Europa expandieren. Bestimmt gibt es auch bald die eine oder andere Filiale in Deutschland.

Linkin ParkAktuelle Besetzung: Chester Bennington, Mike Shinoda, Rob Bourdon, Brad Delson, David „Phoenix“ Farrell und Joe Hahn. Außer Bennington, der aus Arizona stammt, kommen die Musiker alle aus Los Angeles und Umgebung.

Shinoda, Bourdon und Delson gründen 1996 die Vor-läu-fer-Band Xe-ro. Nach mehreren Namensänderungen und Umbesetzungen ist man 1999 komplett, bekommt einen Plattenvertrag und macht sich an die Arbeit.

Im Oktober 2000 kommt das erste Album „Hybrid Theory“. Es wird ein Riesenerfolg und zum meistverkauften US-Album des Jahres 2001. Auch in Deutschland ist Linkin Park schnell populär. „Crawling“ und „In The End“ waren die erfolgreichsten Singles von „Hybrid Theory“.

Die nachfolgenden Alben „Meteora“ (2002) und „Minutes To Midnight“ laufen ähnlich gut. Linkin Park ist heute eine der kommerziell erfolgreichsten und beständigsten Rockbands der Welt. Weltweit wurden mehr als 50 Millionen Tonträger verkauft. Das aktuelle Album „A Thousand Suns“ wird, wie schon „Minutes To Midnight“, vom legendären Rick Rubin produziert.

Mitglied Mike Shinoda hat ein Album mit seinem Nebenprojekt Fort Minor veröffentlicht, auch Chester Bennington ist solo aktiv, seine Truppe heißt Dead By Sunrise. Zu den prominenten Fans zählt Boxer Felix Sturm. Als Intro-Musik bei seinem Kampf gegen Giovanni Lorenzo am 4. September in der Kölner Lanxess-Arena wählte er Linkin Parks aktuelle Single „The Catalyst“.

Linkin Park liveKöln: 27. Oktober (20h), Lanxess Arena, Eintritt 58,95 Euro Karten in den GA-Zweigstellen, Dortmund: 26. Oktober, Westfalenhalle, Frankfurt: 2. November, Festhalle

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