Marguerite Duras "La Douleur" als Schlusspunkt des NRW-Theaterfestivals

Deutschland-Premiere in den Kammerspielen Bad Godesberg

Marguerite Duras "La Douleur" als Schlusspunkt des NRW-Theaterfestivals
Foto: Ros Ribas

Bonn-Bad Godesberg. Wie habe ich diesen Text jahrelang liegen lassen können." So fragt Marguerite Duras zu Beginn ihres Buches "La Douleur", das erst 1985, 40 Jahre nach seinem Entstehen, in Paris veröffentlicht wird.

Das Tagebuch kreist um das bevorstehende Kriegsende im April 1945: In Paris wartet die 31-jährige Intellektuelle und Résistance-Angehörige Duras auf ihren Ehemann Robert Antelme, der 1944 von der Gestapo nach Buchenwald und später nach Dachau verschleppt worden ist.

Patrice Chéreau hat die Endzeit-Erinnerungen mit der großartigen Dominique Blanc in Szene gesetzt. In den Kammerspielen setzte die Deutschland-Premiere von "La Douleur" einen würdigen Schlusspunkt unter das Theaterfestival "Westwärts 09".

Wie hat sie diesen Text jahrelang liegen lassen können? Wahrscheinlich, weil dessen vergegenwärtigende Kraft so überwältigend ist, dass erst die Distanz eine erneute Auseinandersetzung mit dem Grauen erträglich machte.

Durch die minimalistische Inszenierung von Patrice Chéreau und Choreograf Thierry Thieu Niang ist diese Distanz freilich wieder aufgehoben: In der hohen Blackbox des Theaters ist die quälende Ungewissheit des Wartens unmittelbar gegenwärtig. Täglich kehren Deportierte zurück, mehr tot als lebendig, und Marguerite hofft verzweifelt auf ein Lebenszeichen ihres Mannes.

Tagsüber befragt sie an der Gare d'Orsay die Heimkehrer nach Informationen, abends wacht sie am Telefon. Panik und Ohnmacht, Ungeduld und Angst kennzeichnen den Monolog des Wartens - zwischendurch, wenn hereinbrechende Hoffnungslosigkeit und Verstörung einmal nicht jeden vernünftigen Gedankengang unterbrechen, bleibt auch Zeit für eine Abrechnung mit de Gaulle und einen fast journalistischen Blick auf die politische Weltlage.

Dann kehrt Robert aus der Hölle zurück, 38 Kilo verteilt auf 1,78 Meter, und Marguerite Duras kämpft darum, ihn ins Leben zurückzuholen. Feste Nahrung würde ihn umbringen und muss vor ihm versteckt werden; fünf Kissen stützen den ausgemergelten Körper, der sein eigenes Gewicht nicht mehr zu tragen vermag.

Wie in einer umgekehrten Passion protokolliert die Duras Roberts Erholung, gnadenlos exakt, kein quälendes medizinisches Detail wird ausgelassen. Ein zum Erbarmen harter, humaner Text.

Dominique Blanc macht sich zum Medium dieser Aufzeichnungen.

Ihre intensive, aber niemals gefühlsselige Gestaltung des Textes ist so zwingend, dass sie gar nicht "spielen" muss; ihre Sprache so klar, dass man die im Hintergrund eingeblendete Übersetzung getrost auch einmal aus den Augen verlieren kann.

In schlichtem Kostüm, mit bleichem Gesicht, sitzt sie zu Beginn an einem Tisch und räumt ihre Handtasche aus, später steht sie auf, tut leicht gebeugt ein paar energische Schritte, weicht dem Scheinwerferlicht aus oder sucht Halt an der Stuhlreihe, die dem Tisch gegenübersteht. Blancs wenige Gesten erscheinen umso bedeutsamer und bewegender.

Die Wirkung der Ausnahmeschauspielerin an diesem Abend beruht auf ihrer Zurückgenommenheit: Der Text, nicht die Darstellerin, berichtet von der Erschütterung jener Frühlingstage, von dem unendlichen individuellen Leid, das Krieg und Holocaust verursacht haben.

Die Inszenierung bricht da ab, wo der Tod, müde geworden, nach 17 Tagen von Robert ablässt. "J'ai faim!", sagt der Schatten, der zurück ins Leben will und noch nicht weiß, dass seine Retterin ihn verlassen wird. Robert hat den Schrecken überlebt, Marguerites Liebe zu ihm jedoch nicht.

PreisverleihungLaurent Muhleisen, Dramaturg an der Comédie Française, war der Juror für die Darstellerpreise beim Festival.

Die Auszeichnungen gingen an Maria Schrader für ihre herausragende Leistung als Medea in der Kölner Inszenierung "Das goldene Vlies" (1. Preis, 3 000 Euro) und Sarah Viktoria Frick, die sich für ihre Viola in "Was ihr wollt" (Schauspiel Essen) über den mit 2 000 Euro dotierten 2. Preis freuen konnte.

Das Publikum erkor mit 95,8 Prozent Zustimmung Jorinde Dröses Bochumer Inszenierung von "I Hired a Contract Killer" zum besten Gastspiel des Theatertreffens.

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