Oper Bonn Martin Schläpfers Choreografie zu Brahms' Requiem

Bonn · Clara Schumann zeigte sich "ganz und gar erfüllt" von Brahms' Requiem: "Der tiefe Ernst, vereint mit allem Zauber der Poesie, wirkt wunderbar, erschütternd und besänftigend." Ähnlich empfand wohl Martin Schläpfer, als er für sein Ballett am Rhein "Ein deutsches Requiem" choreografierte.

 "Ihr habt nun Traurigkeit": Szene aus Martin Schläpfers Ballett zu "Ein Deutsches Requiem" von Brahms.

"Ihr habt nun Traurigkeit": Szene aus Martin Schläpfers Ballett zu "Ein Deutsches Requiem" von Brahms.

Foto: Thilo Beu

Mit 42 Tänzern ging die Compagnie aus Düsseldorf und Duisburg jetzt in der Bonner Oper auf die Suche nach einer Welt hinter dieser Welt. Brahms' Textauswahl zeigt sich von den theologischen Kernaussagen der Gattung Requiem völlig unbeeindruckt; die weit voneinander entfernt liegenden Bibelstellen beschäftigen sich im weitesten Sinne mit Trauer und Vergänglichkeit, Trost und Hoffnung.

In Schläpfers Ballett ist der Mensch eine von schwerer Last gebeugte, gequälte Kreatur, die sich doch immer wieder aufrichtet und die Erdenschwere überwindet. Die barfüßigen, schwarz gekleideten Tänzer sind hin- und hergeworfen zwischen Oben und Unten, himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt: Mit kraftvollen Sprüngen zelebrieren sie Momente unbeschreiblicher Leichtigkeit, bevor sie wieder in sich zusammenfallen und über den Boden kriechen.

Florian Ettis puristische, nur mit Spiegel- und Lichteffekten operierende Bühne bietet kaum Zuflucht - erst am Ende senken sich aus dem Himmel Seile herab, an denen sich die Tänzer festklammern, um die Verbindung zu einem transzendenten Dasein auch ja nicht abreißen zu lassen.

Schläpfers Tanzidiom ist außerordentlich musikalisch; jede Bewegung singt die Chöre und Solo-Passagen mit, und Brahms` kunstreiche Fugen verwandelt der Choreograf in eine kontrapunktisch kongenial komponierte Abfolge von Soli, kleineren Ensembles und großen Gruppen.

Dabei lohnt es sich, auf die Details zu achten: Wer genau hinsieht, erkennt, dass Schläpfer keinen Wert auf synchrone Uniformität legt, sondern von seinen Leuten tänzerischen Einklang mit versteckten Variationen einfordert. Auch wenn alle die gleichen Schritte tanzen, ist hier die Drehung etwas weiter, dort ein Arm angewinkelt oder eine Hand beiläufig zur Seite gestreckt.

Das betont die Individualität der einzelnen Ensemble-Mitglieder, deren sich immer wieder neu formierenden Verbünde wichtiger erscheinen als die solistischen Auftritte. Und doch gibt es auch die: Mit nur einem Spitzenschuh tänzelt hinkend Marlúcia do Amaral zur Sopranarie "Ihr habt nun Traurigkeit" auf die Bühne, in einer fragilen, stets bedrohten Balance, die der menschlichen Unzulänglichkeit unendliche Würde verleiht.

Ein großer Moment ist auch der Pas de deux von Yuko Kato und Jörg Weinöhl, die sich mit der Zärtlichkeit, dem Staunen und der Anmut von Engeln begegnen. In diesem exquisiten, mit filigranen Gesten geführten Dialog ist der Mensch keine todgeweihte Kreatur, sondern Gottes Ebenbild.

Das wird auch an den Stellen spürbar, wo Schläpfer den rastlosen Energiefluss unterbricht. Dann erstarrt das Kämpfen und Streben für einige Takte zur Skulptur, in der die Vergänglichkeit aufgehoben zu sein scheint. Eine halbe Ewigkeit jedenfalls dauerte der Beifall, mit dem das Bonner Publikum die Gäste von rheinabwärts verabschiedete.

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