Martin Walser liest aus seinem neuen Roman

Vergnüglicher, wenn auch kurzer Ausflug in Goethes Welt: Walser stellt neues Buch "Ein liebender Mann" auf Bouvier Literaturbühne im Landesmuseum vor

Martin Walser liest aus seinem neuen Roman
Foto: Fischer

Bonn. Marienbad, 1823: Der 73-jährige Goethe - Geheimrat, Witwer und überdies inzwischen so berühmt, dass sein Diener Stadelmann heimlich seine Haare verkauft - hat drei Zimmer im Gasthof "Zur goldenen Traube" genommen. Um dort zu residieren, wie es ihm zukommt, und nicht zuletzt auch, um sich von einer gerade überstandenen schweren Krankheit zu erholen. Aber ganz gewiss nicht, um für den Marienbader Skandal des Sommers zu sorgen.

Doch als er am 11. Juli nachmittags gegen fünf am Kreuzbrunnen die 19-jährige Ulrike von Levetzow erblickt, ist es um ihn geschehen. So beginnt Martin Walsers neuer Roman "Ein liebender Mann", den er jetzt bei einer knapp einstündigen Lesung auf der Bouvier Literaturbühne im Rheinischen Landesmuseum vorstellte.

Er erzählt die Geschichte einer eigentlich unmöglichen Liebe, die nicht umsonst für Aufsehen sorgt und die sich letztlich selbst genug sein muss. Und er erzählt sie voller Mitgefühl und Humor, ohne dabei jemals den Liebenden der Lächerlichkeit preiszugeben.

Was angesichts des Altersunterschiedes von fast 54 Jahren keine Kunst wäre. Walser selbst bevorzugt die Herausforderung, durch Goethes Augen zu sehen, seine Sprache zu sprechen. Und die beherrscht er zuweilen mit so traumwandlerischer Sicherheit, dass ihm der eigene Spaß daran beim Lesen anzumerken ist. Es darf gelacht werden. Nicht über Goethe, sondern mit ihm.

So gelingt es Walser ganz nebenbei, seinen unglücklich verliebten Dichter ein Stück greifbarer zu machen und an die Stelle der distanzierten Ehrfurcht, die manche seiner Leser oder Zuhörer noch aus Schulzeiten mit dem Namen Goethes verbinden mögen, einen echten Menschen im Wechselbad seiner widerstrebenden Gefühle zu zeigen.

Der Name der Geliebten steht bei Goethe für das Leben selbst, das ihn nach seiner Krankheit endlich wieder hat. Was stellenweise an Thomas Manns "Tod in Venedig" erinnert, an den alternden, hoch dekorierten Schriftsteller Gustav von Aschenbach und den von ihm aus der Ferne angebeteten polnischen Knaben. Doch während es dort bei Blicken und heimlichen Sehnsüchten bleibt, die mit dem Tode enden, geht Walsers Goethe direkter zu Werke und genießt die Vitalität, mit der ihn seine neue Liebe ausgestattet hat.

An seiner Verehrung für das junge Mädchen kann bald niemand mehr ernsthaft zweifeln. Doch sein Alter steht dem Geheimrat immer wieder im Weg. Und letztlich muss auch Goethe die Dinge so sehen wie sie sind. "Meine Liebe weiß nicht, dass ich über 70 bin. Ich weiß es auch nicht", konstatiert er mit imaginärem Schulterzucken.

Seiner unerfüllten Liebe verdankt die literarische Welt zumindest die "Marienbader Elegie", und Walser räumt dem berühmten Spätwerk Goethes den Platz ein, der ihm gebührt. Ebenso gut war er auch damit beraten, Ulrike von Levetzow nicht als unbedarfte Unschuld vom Lande zu zeigen, sondern als Gesprächspartnerin, deren Meinung Goethe aufrichtig interessiert.

"Ihre Sätze wirken auf mich immer so endgültig. Kein Nachdenken mehr möglich oder nötig", beklagt sie. Womit Walser auf geschickte Weise die Probleme vorwegnimmt, die spätere Generationen mit dem Dichterfürsten per se bekommen haben. Während Goethe selbst in Gedanken schon wieder woanders ist und sich ausmalt, wie schön sein Leben hätte sein können, wäre er Ulrike nur viel früher begegnet.

Wie schön es außerdem sein könnte, den Meister zusammen mit Martin Walser noch weiter auf seinen Wegen durch Marienbad zu begleiten, bleibt der Fantasie der Zuhörer überlassen. Und so muss sich diese ebenso unterhaltsame wie vergnügliche Lesung letztlich nur einen Vorwurf gefallen lassen: viel zu kurz gewesen zu sein.

Martin Walser: Ein liebender Mann, Rowohlt, 288 Seiten, 19.90 Euro.

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