Interview mit Mina Salehpour „Mich langweilen längere Dialoge“

BONN · Die im Iran geborene Regisseurin Mina Salehpour spricht im Interview über die Rolle des Theaters in der Flüchtlingsdebatte und ihre neueste Inszenierung „Und draußen rollt die Welt vorbei“, die auf der Werkstattbühne am Theater Bonn uraufgeführt wird

Inszeniert zum zweiten Mal in Bonn: Mina Salehpour.

Inszeniert zum zweiten Mal in Bonn: Mina Salehpour.

Foto: Theater Bonn

Sie sind in Teheran geboren und als Kind mit ihrer Familie nach Deutschland geflüchtet, als sie elf Jahre alt waren. Wie stark beschäftigt Sie die aktuelle Flüchtlingsdebatte?
Mina Salehpour: Als im letzten Sommer Tausende Flüchtlinge am Münchner Bahnhof gestrandet sind und ich zu dieser Zeit für Proben in der Stadt war, haben mich wegen meiner Biografie viele Interview-Anfragen erreicht. Ich habe alle abgelehnt, denn ich bin kein Celebrity und möchte auch nicht als Vorzeigebeispiel herhalten, ganz nach dem Motto: So ist aus einem Flüchtlingsmädchen eine Theaterregisseurin geworden, die perfekt deutsch spricht. Die sollen doch die Menschen befragen, die aktuell nach Deutschland geflüchtet sind.

Wie geht die Theaterwelt hierzulande in ihren Augen mit dem Thema um?
Salehpour:Theater und Museen haben natürlich die Aufgabe, gesellschaftlich relevante Themen aufs Tapet zu bringen und Räume zu betreten. Dass das Schauspielhaus in Hamburg Flüchtlinge aufnimmt oder die Kammerspiele in München ein Flüchtlingscafé eröffnen, ist großherzig und nur zu unterstützen, aber es muss sich inhaltlich jetzt nicht jede Inszenierung mit Flüchtlingen beschäftigen. Man kann und darf auch noch andere Geschichten erzählen. Ansonsten sind schnell alle erschöpft und wir erleben das Gegenteil von Mitgefühl, Solidarität und Willkommenskultur, nämlich Gleichgültigkeit.

Die Themen Flucht und Migration haben Sie bei ihrer Arbeit jahrelang begleitet. Jetzt widmen Sie sich eher anderem Stoff, bewusst?
Salehpour:Man will ungern in eine Schublade gesteckt werden. Ich habe meinen familiären Hintergrund bereits häufig in meinen Stücken abgearbeitet, aber nun bin ich an einem Punkt meiner Karriere angekommen, wo ich mir selbst aussuchen kann, was ich gerne mache und da liegen mir gerade auch andere Themen auf dem Herzen. Mir ist es generell wichtig, politische Themen eher anhand kleiner Schicksale auf die Bühne zu bringen.

Ihren Weg ins Theater haben Sie zunächst über das Schauspiel gefunden. Warum ist der Job als Regisseurin für Sie reizvoller?
Salehpour:Ich habe nie professionell Schauspiel betrieben und als Regieassistentin auch nur ausgeholfen, weil das Ensemble jemanden gebraucht hat. Aber mein Talent liegt hier bestimmt nicht. Ich will die Ideen, die ich habe, gerne selbst umsetzen und bestimmen. Ich bin eben gerne der Boss, der das Sagen hat.

Kollegen beschreiben Sie als sehr willensstark, energisch und offen. Was sind weitere Merkmale, die man als junge Regisseurin mitbringen muss?
Salehpour: Das klingt zwar banal, aber es geht vor allem um Spaß. Denn mein Job ist keiner, den du wegen des Geldes machst. Ich will Leute mitreißen, zuerst mein Team und dann das Publikum.

Sie mögen amerikanische Serien, Zeichentrickfilme und zocken gerne am Computer. Wie wirkt sich das auf ihre Inszenierungen aus?
Salehpour:Das wirkt sich vermutlich insofern aus, dass ich schnelle Schnitte setze und mich längere Dialoge langweilen. Das führt in der Produktion dann oft dazu, dass die Inszenierungen sehr flotte Abende werden, die dadurch vielleicht auch ab und zu anstrengend sein können.

Ihre Stücke sind zudem meist komödiantisch und von grotesker Komik. Wie viel sollten die Zuschauer denn lachen?
Salehpour: Es geht mir nicht darum, dass mein Publikum nur am Lachen ist. Vielmehr möchte ich Themen aus einer anderen Sichtweise beleuchten und nicht einfach die Realität abbilden oder mit dieser in Konkurrenz treten. Ich probiere gerne aus und versuche mich eben parabelhaft der Geschichte zu nähern. Dass dabei groteske Momente entstehen, ist nahe liegend, aber es geht mir nicht darum Witze zu erzählen oder Bloßzustellen.

Das aktuelle Stück „Draußen rollt die Welt vorbei“ klingt nach einem Leben im Elfenbeinturm, fernab von Alltagsproblemen. Dabei geht es um den Tod.
Salehpour: Genau. Der Autor Lukas Linder und ich hatten beide den Dokumentarfilm „Chronik eines vergessenen Todes“ gesehen und unabhängig voneinander die Idee entwickelt, aus diesem Stoff ein Stück zu machen. Die Frage, wie ein Mensch über zwei Jahre tot in einem Miethaus vor sich hinsiecht, bis er gefunden wird, hat uns beide sehr beschäftigt. Draußen rollt die Welt vorbei, während man drinnen sitzt und gammelt und sich nicht um den Nachbar schärt. Das Stück ist weniger pädagogisch geworden, aber dafür sehr philosophisch, und das Ende bleibt offen.

Wie hoch ist denn generell die Gefahr, dass in unserer schnelllebigen Gesellschaft immer mehr Menschen vergessen werden und sang- und klanglos verschwinden?
Salehpour: Ich glaube, dass das hier in Mitteleuropa immer öfter vorkommt und anderswo nicht so stark verbreitet ist. Gerade in afrikanischen Ländern kann ich mir das nicht vorstellen, da die Familie dort noch viel mehr zusammen lebt.

Können Sie sich auch eine Zukunft außerhalb des Theaters vorstellen? Wo sehen Sie sich in 20 Jahren?
Salehpour: Ich hätte Lust auf Broadway. Das ist so ein Zehnjahresplan. Und wenn es noch den Musiksender MTV gebe, würde ich wohl Videos drehen. Derzeit probiere ich mich aber erstmal an einem Musical. Mal schauen.

Das Stück "Und draußen rollt die Welt vorbei" von Autor Lukas Linder feiert am Donnerstag, 14. April, um 20 Uhr auf der Werkstattbühne im Theater Bonn Premiere. Im Anschluss findet im Foyer die Premierenfeier statt.

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