„Asrael“ in der Oper Bonn Mit dem Chor im Nacken
Bonn · „Asrael“ in der Oper Bonn ist musikalisch hinreißend. Die Handlung ist ein schwacher Cocktail. Aber dafür kann das Ensemble an der Bonner nichts, das Alberto Franchettis Werk mit Wucht präsentiert.
Geballte musikalische Beschallung mit verschiedensten Raumeffekten liefert die von Alberto Franchetti vertonte Legende „Asrael“ in der Oper Bonn. Der gesamte Chor plus Extrachor sitzt im Zuschauerraum und damit dem Publikum im Nacken, die Blechbläser schießen scharf durch Türen und von Emporen – das saugt das Publikum mitten hinein ins Geschehen, das zeitgemäße Regiekonzept sucht Nähe. Dadurch liefert diese Ausgrabung eines unbekannten Stoffes eines unbekannten Komponisten ein Sound-Erlebnis.
Uraufgeführt wurde das Stück 1888 dank intensiver Unterstützung durch Franchettis finanziell mehr als gesegneten Vater im engen Umfeld zu Verdis spätem Otello, Mascagnis „Cavalleria rusticana“ oder Leoncavallos „Pagliacci“ – zeitlose Säulen im italienischen Belcanto beziehungsweise Verismo. Wo blieb da Franchetti?
Der langfristige Erflog blieb Franchetti versagt
Im Gegensatz zu seinem weiteren Mitstreiter Puccini blieb der Baronensohn Franchetti, gefördert auch durch seine kulturliebende Mutter, eine geborene Rothschild, nach einem sensationellen Karrierestart mit „Asrael“ der uneingeschränkt langfristige Erfolg weitgehend versagt. Seine erste Oper aber wurde beim 1. Verlag Italiens gedruckt. Verdi selbst empfahl den jungen Mann für ehrenvolle Aufträge, Gustav Mahler dirigierte mehrfach Franchettis Opernerstling, Toscanini leitete seine Kolumbus-Oper, Caruso sang in seiner Oper „Germania“: Bei diesen Namen klingeln die Ohren. Und doch sank der Stern des Komponisten spätestens beim Auftrag zu „Tosca“: Franchetti schmiss hin, Puccini übernahm.
Den Zündfunken für diese anfgangs vielversprechende Komponistenlaufbahn präsentierte jetzt der Regisseur Christopher Alden, der die recht dünne Dichtung von Ferdinando Fontana mit Bildern zu füllen hatte. Es dreht sich um den Kampf von Gut und Böse, um die sich liebenden Engel Asrael und Nefta, die nach Hölle und Himmel getrennt werden. Der in die Hölle geratene Asrael schließt einen Pakt mit dem Teufel, um Nefta auf Erden zu suchen, Nefta einen Pakt mit Maria für einen Erdenbesuch. Asrael trifft dort auf die hexende Königstochter Lidoria, die er erobert und gleich wieder verstößt. Er sucht das Glück in den Armen der Zigeunerin Loretta – Krach ist vorprogrammiert. Die als Krankenschwester Clotilde verkleidete Nefta klärt und befriedet alle Seiten und rettet in einem gemeinsamen Gebet ihren entkräfteten Geliebten: drei Stunden für ein Ave Maria.
Aus Märchen- und Mythenstoffen zusammengestückelt
Diese aus Märchen- und Mythenstoffen zusammengestückelte Fantasie-Oper mit relativ wenig Handlung gegen überproportional aufgestaute Emotion lenkt den Fokus auf die Musik. So changiert das Bühnenbild (Charles Edwards) zwischen höllischer Leere im Keller und himmlischer Weite oder erdiger Realität kaum, wenig Staffage, wenige Statisten. Die Hölle malt Alden als militärisches Szenario, wo die Insassen tausendmal den Heldentod erleiden dürfen. Aber die Chöre (gut studiert von Marco Medved) der Dämonen, verdammten Seelen, Jungfrauen, Märtyrer, Fischerzigeuner, Ritter, Bauern und Soldaten (nur eine Auswahl) färben die Szenen, wühlen auf, skandieren und mischen sich ein.
Hausdirigent Hermes Helfricht synchronisierte die Stimmen mit seinem brodelnden Orchestergraben, und da funkelte eine verspielt differenzierte Orchestrierung der Extreme von zart bis überwältigend – das ist definitiv hörenswert.
Ebenso gelang Franchetti die Ausmalung der Solopartien, die konsequente Suche nach dem musikalischen Höhepunkt, oft dem aufblühend ausgesungenen Spitzenton. Dass eine Oper ohne bekannte Hits die Spannung hält und die Ohren so prächtig unterhaltsam verwöhnt, das spricht eindeutig für die Musik dieses großen Talents.
Aufschäumend tolle Musik
Pavel Kudinov interpretierte in der Oratorienbesetzung der Solisten als Luzifer auch gleich den bösen Vater einer Familienvision und den König noch dazu, dessen hexende Tochter gab Tamara Gura mit auftauender Kälte. Kathuna Mikaberidze sang eine Loretta mit Carmen-Feuer, während die heilige Nefta, von der Rolle her lyrisch erwartet, ihren kernigen Sopran partiturgerecht auch gegen ein großes Orchester durchsetzen konnte. Das galt auch für den britischen Tenor Peter Auty, der in der Titelrolle sowohl heldisch wie lyrisch parieren konnte.
Was in dieser Inszenierung bildhaft bei anerkannt hohem Schwierigkeitsgrad recht dürftig gelang, das spielt die aufschäumende tolle Musik gleich wieder klar: Vielfache Bravi für alle Musikanten, vereinzelte Buhrufe für das Regieteam.
Länge: drei Stunden mit einer Pause, Vorstellungen am 22.10./6./11./27.11./8.12.22/14.1.23 mit wechselnden Zeiten