Mit großen Gefühlen allein geht es nicht

Der Bonner Generalmusikdirektor Roman Kofman über seine Arbeit mit Nachwuchs-Dirigenten

  Roman Kofman .

Roman Kofman .

Foto: Barbara Frommann

Bonn. Klarheit und Ausdruck kennzeichnen einen guten Dirigenten. Als Leiter der Kapellmeisterklasse am Tschaikowsky-Konservatorium Kiew und Autor eines Standardwerks über die Psychologie des Dirigierens weiß Roman Kofman das besser als jeder andere.

Noch bis Donnerstag haben acht Nachwuchs-Dirigenten Gelegenheit, in der viertägigen Meisterklasse des Bonner Generalmusikdirektors ihre Klarheit und ihren Ausdruck zu verbessern. Mit Roman Kofman sprach Gunild Lohmann.

General-Anzeiger: Gibt es einen besonderen Grund, dass Sie mit der fünften Sinfonie von Schostakowitsch und Tschaikowskys Sechster die Werke zweier russischer Sinfoniker für Ihre Dirigenten-Werkstatt ausgewählt haben?

Roman Kofman: Die Nationalität der Komponisten ist unwichtig. Sie verrät nichts über die Stilistik und Konzeption ihrer Werke. Thema der Meisterklasse sind Klarheit und Ausdruck - dabei ist es völlig gleich, ob ein chinesischer oder ein deutscher Student dirigiert, ob eine russische oder eine deutsche Partitur auf dem Notenpult liegt. Überhaupt ist mir die Frage nicht sehr angenehm.

Als ich nach Bonn kam, konnte ich in der Zeitung lesen: Marc Soustrot hat viel französische Musik dirigiert, jetzt erwarten wir von Kofman russische. Aber mir ist es egal, welchen Pass der Komponist hatte - Hauptsache, das Konzertprogramm ausbalanciert. Für Schostakowitsch und Tschaikowsky in der Werkstatt gibt es ganz pragmatische Gründe: Das Orchester aus Kiew, mit dem die Studenten morgen proben dürfen, kennt beide Sinfonien gut und musste sich daher nicht besonders vorbereiten.

GA: Klarheit und Ausdruck in einem Atemzug - liegt darin nicht ein gewisser Widerspruch?

Kofman: Das eine kann in der Musik ohne das andere nicht wirklich existieren. Gut, es gibt natürlich Klarheit ohne Expressivität, das können wir in so manchem Konzertsaal hören, aber das ist keine Kunst. Auf der anderen Seite: Wenn ein Dirigent ganz große Gefühle verströmt, aber keine klaren Vorgaben macht, ist spätestens nach fünf Minuten Schluss, weil das Orchester so nicht spielen kann.

GA: Von Nikolai Rimski-Korsakow stammt das Diktum "Dirigieren ist eine dunkle Kunst". Stimmen Sie zu?

Kofman: Er hat Recht. Wir können 99 Prozent des Dirigats erklären: Bewegungen, Mimik, Tempi, Farben und Instrumentation zum Beispiel. Aber kein Mensch auf der Welt weiß, warum ein Orchester unter dem einen Dirigenten so klingt und unter einem anderen fünf Minuten später völlig anders, auch wenn beide genau die gleichen Tempi und technischen Anweisungen geben. Dieses eine Prozent bleibt die dunkle Kunst, unerforschlich und unberechenbar.

GA: Hängt dieses unwägbare Moment des Dirigierens mit dem Charisma des Dirigenten zusammen?

Kofman: Ja, aber das muss wirklich ein spezielles dirigentisches Charisma sein. Es gibt viele Musiker mit großer innerer Kraft und einer fantastischen Ausstrahlung, aber wenn die anfangen zu dirigieren, ist das Resultat gleich null. Swjatoslaw Richter zum Beispiel hat es auch einmal versucht, aber weil er ein ehrlicher Mensch ist, hat er es danach sein lassen.

Sie müssen immer daran denken: Ein Orchester ist das einzige Musikinstrument, was aus der Distanz gespielt wird und lebendig ist - stellen Sie sich eine Orgel vor, in der jede einzelne Pfeife ihre eigene Vorstellung davon hat, wie ein Stück zu klingen hat. Das in den Griff zu kriegen, ist eine geheimnisvolle Sache.

GA: Die man nicht lernen kann?

Kofman: Nein, gerade das kann man nicht lernen. Wenn neue Studenten in meine Kapellmeisterklasse kommen und fragen, wie müssen wir dirigieren, dann kann ich ihnen nur sagen, dass sie das selbst für sich herausfinden müssen.

GA: Also ist die Dirigenten-Werkstatt auch ein Selbsterfahrungstrip, bei dem die Schüler vor allem lernen, was nicht geht?

Kofman: Ja, weil hier acht verschiedene Begabungen und Charaktere versammelt sind. Die müssen flexibel sein. Ich kann nur versuchen, ihnen möglichst viel von den 99 Prozent technischem Rüstzeug zu vermitteln.

Öffentliche Probe in der Beethovenhalle am Donnerstag, 5. Februar, um 10 bis 13 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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