Wirtschaftsroman von Hans Magnus Enzensberger Mit ironischem Florett: "Immer das Geld!"

BONN · Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel schwärmte: "Es ist ein schöner Zug, welche Verachtung man in Deutschland für das Geld hat und zeigt." Dass es den Charakter verderbe und allenfalls dann "sauber" sei, wenn es hart erarbeitet ist - solchen missgünstigen Tugendweisheiten erklärt Hans Magnus Enzensberger nun den Krieg.

 Wie gewonnen, so zerronnen: Die bunten Chips im Spielcasino sind die Währung beim Roulette.

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Foto: dpa

Nicht mit Aplomb und großer Kanone, sondern mit ironischem Florett geht sein Buch "Immer das Geld! - Ein kleiner Wirtschaftsroman" dabei gegen die antimaterialistische Moralbastion vor. Seine Heldin ist Tante Fé, eine mondäne alte Dame mit rechtzeitig verblichenen Ex-Männern und Villa am Genfer See. Ihr Motto: "Ohne die Verschwendung geht gar nichts."

Wann immer sie ihre vergleichsweise armen deutschen Verwandten, die Familie Federmann, besucht, logiert sie in einer Suite des Hotels "Vier Jahreszeiten". Dorthin bestellt sie die Federmann-Kinder Felicitas, Fanny und Fabian zum amüsanten Nachhilfeunterricht über das Geld.

Der beginnt bei der Frage, warum man irgendwann aufhörte, Muscheln, Kühe und Töchter zu tauschen, streift unterwegs die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und durchleuchtet die Derivate, die "Massenvernichtungswaffen der Finanzbranche". Ergebnis: lauter ineinander gestapelte Schachteln, "und die letze ist leer".

Der nunmehr 85-jährige Romancier, Lyriker und Essayist möchte mit seinem ökonomischen Parlando kein BWL-Studium oder den Termin beim Anlageberater ersetzen, sondern eine geistige Entspannungsübung zum Thema Geld anbieten.

Buchkünstler Franz Greno übernimmt dabei die exquisite optische Inszenierung: Er rückt Luxustempel wie Pleitebanken ins Bild, zeigt die von Menschen überflutete Wall Street am Schwarzen Börsen-Donnerstag vom 29. Oktober 1929 oder die schlechten Manieren der Schickeria mit ihren Nobelschuhen auf dem Beistelltisch. Am Rande säumen in Dollargrün mehr oder minder bekannte Zitate den Parcours.

Da stimmt man Nestroys Klage "Die Phönizier haben das Geld erfunden. Aber warum so wenig?" gern zu, liest bei Dostojewski "Geld ist gemünzte Freiheit" und den herben Widerspruch von Ludwig Börne: "Reichtum macht das Herz schneller hart als kochendes Wasser ein Ei."

Die Handlung frönt zwischendurch lässigem Müßiggang und gewinnt erst wieder an Fahrt, wenn Enzensberger dem Tantchen die Folterinstrumente des Kapitalismus zeigt: geplatzte Kredite, Steuernachzahlungen, Pfändung. Doch keine Bange, Fés Sturz zeitigt allein ein kurzes Wohnasyl bei den Federmanns, denn bald bringt ihr versierter Anwalt Dr. Havelschmidt (fast) alles wieder ins Lot.

Als Felicitas & Co. dann erben, stellt sich die Villa zwar als ziemlich vernachlässigt heraus, was der Grandezza der Tante und ihres aus dem Vollen geschöpften Lebens indes kaum Abbruch tut.

So gelingt Enzensberger hier zweierlei: Er impft seine Leser sowohl gegen jede Naivität in Vermögensfragen als auch gegen den Neid als stärkste aller Genussbremsen.

Man muss nicht Balzac folgen ("Wer es auf andere Weise nicht schafft, sollte sich durch seine Schulden berühmt machen"). Aber der Volksmund hat nicht ganz unrecht: "Der Geizige ist das Ross, das Wein fährt und Wasser trinkt."

Hans Magnus Enzensberger: Immer das Geld! - Ein kleiner Wirtschaftsroman. Suhrkamp, 237 S., 22,95 Euro.

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