"Glanz und Grauen" Mode zur Zeit des NS-Regimes in einer Ausstellung

EUSKIRCHEN · Wie politisch ist Kleidung? Diese Frage stellt die Ausstellung "Glanz und Grauen", die im Industriemuseum Euskirchen des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) praktische und ideologische Aspekte der Mode zur Zeit des Nationalsozialismus auf eindrucksvolle Weise dokumentiert. Mehr als 100 Originalkostüme sowie Accessoires, Fotos, Modezeichnungen und Zeitschriften zeichnen ein differenziertes Bild von Kleidung in einer Zeit, in der sich ein totalitäres Regime in alle Lebensbereiche drängte.

Auswahl, Anschaffung und Pflege von Kleidungsstücken waren keine Privatsache mehr. So konnten junge Leute schon als Mitglieder verbotener Jugendgruppen identifiziert werden, wenn sie ihre Socken herunterrollten, statt sie wie Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel ordentlich hochgezogen zu tragen. Ein eleganter Anzug und ein mitgeführter, aber nie aufgespannter Regenschirm entlarvten Swing-Anhänger. Wer sich mit einem veralteten Abzeichen des Winterhilfswerks auf die Straße traute, verriet damit, dass er in diesem Jahr noch nichts gespendet hatte.

Ähnlich verblüffend sind die Kontraste, die der Besucher bei seinem Rundgang erlebt: Da prunken in einem Raum elegante Couture-Abendroben, mit denen sich Filmstars und Frauen der NS-Prominenz schmückten; im nächsten zeigen aus Stoffresten zusammengestoppelte Notkleider, wie sehr sich viele Menschen einschränken mussten.

"Der Sparzwang war wichtiger als das Modediktat", erklärt Museumsleiter Detlef Stender, "so wurden zum Beispiel Kunstfasern wie Zellwolle oder Kunstseide propagiert, weil der Import von Wolle, Baumwolle und Seide teuer war." Doch auch wenn Uniformen und Parteiabzeichen aus der "Volksgemeinschaft" eine sichtbare Einheit schufen und auffallender Luxus verpönt war - internationale Einflüsse ließen sich nicht völlig ausblenden. Die Schnitte zeigten sich im Gegensatz zu den Charleston-Kleidern der 20er Jahre wieder feminin und figurbetont.

Obwohl Stoffe Mangelware waren und Resteverwertung die Alltagsmode prägte, zeugt diese von großem Erfindungsreichtum und der Entschlossenheit, trotz allem gut auszusehen. Hier eine Stickerei, dort ein Zierknopf oder ein mit Rüschen garnierter Kragen: Mit kleinen, raffinierten Details hübschten geschickte Schneiderinnen Outfits auf. Für Glamour in der Ausstellung sorgen die mit Bleistift und Wasserfarben angefertigten Modegrafiken der Kostümbildnerin Ilse Naumann, die unter anderem Grete Weiser, Heinz Rühmann und Olga Tschechowa einkleidete.

Glanz, der nur kurz vom Grauen ablenkt: Wichtige Kapitel der Schau sind auch die "Arisierung" der Textilproduktion, die rücksichtslose Enteignung der Juden und die entsetzliche Schuhlaufstrecke im Konzentrationslager Sachsenhausen: In Schuhen, die nicht passten, mussten Häftlinge den ganzen Tag im Kreis laufen, um neue Materialien für Schuhsohlen auf ihre Haltbarkeit zu testen. Bei einem Tagespensum von 30 bis 48 Kilometern wurden die entkräfteten Häftlinge buchstäblich zu Tode gehetzt.

"Glanz und Grauen" ist aus einem Forschungsprojekt des LVR und der Universität Marburg entstanden. Zahlreiche private Spenden ergänzten die vorhandene umfangreiche LVR-Sammlung zur Mode- und Kostümgeschichte.

"Glanz und Grauen - Mode im ?Dritten Reich'", bis 26. Oktober im LVR-Industriemuseum Euskirchen-Kuchenheim, Carl-Koenen-Straße 25b. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 18 Uhr.

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