"Brief einer Unbekannten" in der Pathologie Monolog an ein abwesendes "Du"

Erlesenes Erlebnis: "Brief einer Unbekannten" von Stefan Zweig in der Pathologie. "Dir, der Du mich nie gekannt", ist der lange Brief gewidmet, den der Wiener Romanschriftsteller R. nach einer Reise an seinem 41.Geburtstag auf seinem Schreibtisch findet. "Mein Kind ist gestorben", berichtet die anonyme Verfasserin.

Es war auch das Kind des Mannes, der sich nur bruchstückhaft erinnern kann an die Frau, die ihn abgöttisch liebte. Die Novelle "Brief einer Unbekannten" von Stefan Zweig (1881-1942) erschien 1922. Der Autor war also im gleichen Alter wie der Empfänger des fiktiven Briefes. Zweig, dieser sensible Erforscher der weiblichen Psyche, spielt elegant mit den Perspektiven der Wahrnehmung.

In der neuen Inszenierung von Maren Pfeiffer, der künstlerischen Leiterin des Theaters Die Pathologie, schaut die Schreiberin einen Moment lang fast schelmisch dem unsichtbaren Leser zu, bevor sie die Kerzen am Totenbett ihres Sohnes anzündet und ihren Monolog an das abwesende "Du" beginnt.

Die Schauspielerin Anne Scherliess, Leiterin der freien Theatergruppe "theater@home", bleibt dabei eine Figur im Textuniversum. Auf dem Bühnenboden aus beschriebenen weißen Laken verkörpert sie gleichzeitig das "Ich" der Verfasserin des Briefes und das Geschöpf, das aus den geschriebenen Zeilen spricht. Im türkisfarbenen kurzen Kleidchen mit dunkellockigem Bubikopf ist sie das dreizehnjährige Mädchen, das sich schwärmerisch in den jungen Künstler verliebt.

Ihr ganzes Leben geht in seinem auf, von dem sie dennoch gänzlich ausgeschlossen ist. Sie beobachtet ihn durch den Türspion, entwirft sich Phantombilder des Angebeteten und verbringt als Achtzehnjährige endlich drei Nächte mit dem Objekt ihrer Sehnsucht. Für ihn ein beiläufiges kleines Abenteuer, für sie die Erfüllung aller Träume. Die Frucht der kurzen Beziehung ist ihr ganzes Glück, trotz der furchtbaren Demütigungen in der Gebärklinik. Durch den Sohn besitzt sie den fernen Vater, mit dem sie Jahre später noch einmal eine Nacht lang das Bett teilen wird. Ein gut einstündiges, erlesenes Theater-Erlebnis; überzeugter Beifall bei der ausverkauften Premiere.

Nächste Vorstellungen am 21. und 22. April und vom 4. bis 6. Mai. Karten: 0228-222358.

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