Mozarts "Entführung aus dem Serail" im Kölner Palladium
Die Kölner Oper hat wegen der Sanierung des Riphan-Baus am Offenbachplatz ihr zentrales Ausweichquartier im Kölner Palladium aufgeschlagen. In der neuen Spielstätte inszenierte der Kölner Opernintendant Uwe Eric Laufenberg Mozarts "Entführung aus dem Serail".
Köln. Auf der Bühne stehen ein paar original verpackte Flachbildfernseher, einige Gebinde Cola-Dosen und ein paar weitere Kisten, deren Inhalt sich erst später als eine frische Lieferung funktionstüchtiger Maschinenpistolen herausstellen wird. Wir befinden uns mitten in Köln-Mülheim, einem türkisch geprägten Stadtteil.
In der Schanzenstraße steht gegenüber dem E-Werk und Harald Schmidts Late-Night-Studio das Palladium, ein Ort, wo sonst Rock- und Popkonzerte auf der Tagesordnung stehen, nun aber die Kölner Oper wegen der Sanierung des Riphan-Baus am Offenbachplatz ihr zentrales Ausweichquartier aufgeschlagen hat. Hier an diesem Ort, wo die morgenländische und die abendländische Kultur täglich aufeinander- treffen, gibt Kölns Opernintendant den Quartiereinstand mit seiner Inszenierung von Mozarts "Entführung aus dem Serail". Das Palladium wurde für diesen Zweck ertüchtigt, mit aufsteigenden Zuschauerrängen versehen, um das Orchester ein breiter Rahmen gezogen, der den Akteuren als zusätzliche Spielfläche dient. Und sogar die Akustik spielt mit.
Tickets Karten im GA-Ticket-ShopBassa Selim scheint einen florierenden Handel zu betreiben, seine Lagerhalle (Bühne: Matthias Schaller) ist gut gefüllt. In dieser Inszenierung ist er ein Kurde, der von dem kurdischen Schauspieler Ihsan Othmann gespielt wird. Für ihn wurde die einzige Sprechrolle in Mozarts Stück in seine Muttersprache übersetzt - man versteht kein einziges Wort. Was aber auch nicht weiter schlimm ist, denn sein Oberaufseher Osmin übersetzt bei Bedarf. Laufenberg hat die ganze Geschichte von der Entführung Konstanzes und ihrer Begleiter Blonde und Pedrillo klug in dieses Milieu übertragen, nutzt es, um seinen Beitrag zur aktuellen Integrationsdebatte zu leisten, ohne den Unterhaltungswert des Mozartschen Singspiels aufzugeben.
Dessen Humor funktioniert genauso, als würde man den Serail tatsächlich im Bilderbuch-Orient verorten. Auch hier weiß sich Blonde den plumpen Avancen Osmins mit Witz zu erwehren, auch hier wirken die säbelrasselnden Drohungen Osmins nicht zuletzt dank der Musik Mozarts fast schon bemitleidenswert putzig. Es ist schon sehr lustig, wenn der hünenhafte Osmin singend "Ich hab auch Verstand" beteuert, es ihm dabei aber nicht gelingt, die neu gelieferte MP zusammenzubauen. Das muss ihm erst Pedrillo zeigen. Ein bisschen Serail-Atmosphäre kommt sogar auf, wenn Pedrillo später zur Vorbereitung der Flucht Osmin ordentlich Wein einschenkt; dann gesellen sich Bassa Selims schwarz verhüllte Frauen (Kostüme: Antje Sternberg) dazu, werfen ihre Burkas ab und lassen bauchfrei ihre Hüften zur Musik kreisen.
Für die Versöhnung der Kulturen tritt in Laufenbergs Inszenierung Konstanzes Geliebter und Retter Belmonte ein, der sich als Baumeister in Bassa Selims Reich einschleicht. Er zeigt dem Herrscher eine Reihe von Plänen, Moscheen, Kirchen, und - als Sinnbild kapitalistisch säkularisierter Kirchtürme - die Petronas Towers, um ihm zugleich zu versichern, dass es die Liebe sei, die die ganze Welt vereine. Doch Laufenberg bringt es dann doch nicht über sich, diese schlichte Botschaft so stehen zu lassen. Am Ende, nachdem Bassa Selim Belmonte als Sohn seines ärgsten Feindes erkannt und ihn trotzdem, auf Rache verzichtend, mit den anderen Gefangenen in die Freiheit entlassen hat, öffnet sich im Bühnenhintergrund ein Tor, das den Blick auf den Mülheimer Hinterhof freigibt.
Die edle Tat des Bassa Selim ruft Feinde auf den Plan: Im Schlussbild hält eine Kämpferin ihm eine Maschinenpistole an den Kopf. Musikalisch ist die Kölner "Entführung" durchweg gelungen. Das Gürzenich Orchester spielt unter der Leitung des Alte-Musik-Spezialisten Konrad Junghänel ganz hinreißend, zeigt in den exotischen Janitscharenklängen Biss, gibt den Sängern Raum, sich zu entfalten, etwa in Konstanzes Martern-Arie, die von der Russin Olesya Golovneva mit wunderschönem, seelenvollem Sopran gesungen wird. Brad Cooper überzeugt nach kleineren anfänglichen Unsicherheiten als Belmonte mit schön geführter lyrischer Stimme. Anna Palimina gibt eine großartige Vorstellung als Blonde, die nur von einigen ins Schrille tendierenden Spitzentönen eingetrübt wird.
John Heuzenroeder als Pedrillo ist ein Genuss, und Wolf Matthias Friedrich stattet den Osmin mit bedrohlich anmutender Bassfülle aus. Der von Andrew Ollivant einstudierte Chor macht eine sehr gute Figur. Das Publikum nahm die Premiere am neuen Spielort mit einhelligem Applaus auf.
Weitere Vorstellungen: 1., 3., 5., 10., 12., 15., 17., 19., 21., 23. und 26. Dezember im Palladium, Schanzenstraße 40.