Murray Perahia beglückte in der Beethovenhalle

Der Amerikaner wollte immer mehr sein als ein Virtuose. Er beherrscht die Poesie des Klavierklangs, seine musikalischen Erzählungen fesselten den Zuhörer.

 Murray Perahia probierte in der Beethovenhalle den Konzertflügel aus.

Murray Perahia probierte in der Beethovenhalle den Konzertflügel aus.

Foto: Beethovenfest

Bonn. Der legendäre Pianist Vladimir Horowitz hat seinem deutlich jüngeren Kollegen und Freund Murray Perahia einmal einen bemerkenswerten Satz mit auf den Weg gegeben: "Wenn du mehr sein willst als ein Virtuose", sagte er, "musst du erst ein Virtuose sein."

Auf den ersten Blick klingt er in seiner Schlichtheit fast banal. Doch der Amerikaner Perahia hat die tiefere Wahrheit, die sich in diesen Worten verbirgt, geradezu aufgesogen. Er wollte immer mehr sein als ein Virtuose, und er will es noch. Er ist ein Poet, ein Geschichtenerzähler, einer, dessen Erzählungen am Klavier den Zuhörer packen. Und die Virtuosität ist sein Medium.

Das macht sich selbst in scheinbar einfachen Werken bemerkbar, wie in Bachs Französischer Suite in G-Dur, mit der er das Programm seines Beethovenfest-Gastspiels eröffnete. Solche Stücke stehen auf dem Lehrplan eines jeden Klavierschülers, doch sie so zu spielen, wie Perahia es vormacht, erfordert eben eine ausgereifte, makellose Technik. Um den verspielten Ton der Gavotte zu treffen, das zarte Stimmgewebe der Sarabande zum Singen zu bringen oder den Schwung der Gigue hörbar werden zu lassen.

Bei Murray Perahia klingt Musik so, als müsse sie so und nicht anders gespielt werden. Das hat bei ihm allerdings so gar nichts Autoritäres, sondern wirkt auf sehr sympathische Weise selbstverständlich. Wenn Beethoven über den zweiten Satz seiner Sonate in e-Moll op. 90 schreibt, sie sei "nicht zu geschwind und sehr sangbar vorzutragen", hört sich das bei Perahia auch genau so an.

Wie er die Musik hier fließen lässt, ihre liedhafte Melodik immer wieder neu beleuchtet, indem er kaum merkbare Varianten einfügt, das ist reine Poesie. In den vier Intermezzi op. 119 von Johannes Brahms ist das nicht anders. Im Adagio in h-Moll erzeugte er mit allerfeinsten Anschlagsnuancen einen geradezu ätherischen Klang, der im vierten Stück des Opus, der Rhapsodie in Es-Dur, sein heroisch zupackendes Alter Ego fand.

In der an den jungen Brahms erinnernden vollgriffigen Motivik dieses letzten Klavierstückes des Komponisten überhaupt blitzte an diesem Abend in der ausverkauften Beethovenhalle erstmals die Art von Virtuosität auf, für die ein Pianist wirkliche physische Kraft benötigt.

Nach der Pause erzählte Perahia am Klavier zunächst "Von fremden Ländern und Menschen". So lautet der Titel des Eröffnungsstückes der Schumann'schen "Kinderszenen", das er in einem wunderbaren Legato spielte, wobei die plötzlich hervorgehobene Unterstimme im zweiten Teil des Stückes durchaus sogar als Bedrohung der Idylle gedeutet werden könnte.

Schumanns "Kinderszenen", für die Perahia ein idealer Interpret ist, verklären ja die Kindheit nicht, sie erzählen nämlich auch von Ängsten. Spielerisch noch im rasant hingeworfenen "Haschemann", existenzieller dann in "Fast zu ernst" oder in "Fürchtenmachen". Der entspannte Ruhepol im Zentrum des Zyklus war die berühmte "Träumerei", deren romantischen Ton Perahia mit einer ungemein facettenreichen Anschlagskultur zum Ausdruck brachte.

Mit drei Stücken von Chopin beendete er dann den Klavierabend. Dem virtuosen Prélude in fis-Moll folgte eine rhythmisch kunstvoll nuancierte Mazurka in cis-Moll aus Opus 30. Und in dem zupackend gespielten cis-Moll-Scherzo zeigte er, dass er auch ein gelehriger Schüler seines Freundes Horowitz ist.

Das Publikum war davon begeistert und erklatschte sich zwei Zugaben. Schuberts Impromptu Nr. 2 aus op. 90 ging Perahie, der Poet am Klavier, überraschend resolut an, und Chopins Etüde in cis-Moll aus op. 10 war sozusagen das virtuose Abschlussfeuerwerk: Perahia ist - und das zeigte er hier mit einem energischen Ausrufezeichen - eben auch ein echter Virtuose.

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