Museum Ludwig: Wenn die Würde des Menschen zerbricht

KÖLN · Kasper Königs Ausstellung "Vor dem Gesetz" stellt existenzielle Fragen. Es geht um die mit Füßen getretene Menschenwürde, vor allem aber um die Reaktionen der Kunst.

 Der Raum "Dante und Vergil gehen durch die Welt" in der Ausstellung "Vor dem Gesetz".

Der Raum "Dante und Vergil gehen durch die Welt" in der Ausstellung "Vor dem Gesetz".

Foto: dpa

Ein nackter, entsetzter, gebrochener Held. Jener "Gefesselte Prometheus", den Gerhard Marcks 1948 in Bronze goss, hat den Göttern zwar das Feuer entrissen, dann aber den Weltenbrand und seine Ascheberge gesehen.

In der von Kasper König mit Thomas D. Trummer kuratierten Ausstellung "Vor dem Gesetz" blickt Prometheus auf Jimmie Durhams "Building a Nation" (2006), eine Zivilisationsmüllhalde. Zwischen Ölfässer, Reifen, Schrott hat der Cherokee-Indianer rassistische Zitate geklebt. So erklärte Generalmajor Philip Sheridan: "Die einzigen guten Indianer, die ich je gesehen haben, waren tot."

Wer durch diese Inferno-Pforte die Oberlichtsäle des Museums Ludwig betritt, versteht das Prinzip der komplexen Konzeptschau (Untertitel: "Skulpturen der Nachkriegszeit und Räume der Gegenwartskunst") unmittelbar.

Wispernde Zwiegespräche

[Kafkas Präambel] Es geht um die mit Füßen getretene Menschenwürde, vor allem aber um die Reaktionen der Kunst. Zwar zwang das Weltkriegsgrauen die Bildhauer in eine Demutshaltung, die heute fehlt. Doch Vorsicht, die alten Skulpturen führen mit ihren modernen Nachbarn wispernde Zwiegespräche.

Wilhelm Lehmbrucks "Sitzender Jüngling" von 1916 blickt unter dem Eindruck des großen Mordens zu Boden - sonst könnte er gegenüber die markant vors Fenster gesetzte "Figure in Space" von Reg Butler (1957/58) sehen. Halb filigraner Körper, halb unförmiger Torso, ist sie wie in eine Zentrifuge gespannt - eine packende Studie über Stillstand und Dynamik, Qual und Rausch.

Kasper König warnte gestern vor dem "Kitsch", die Schau auf einen Höllentrip zu reduzieren. Tatsächlich behauptet nicht nur Phyllida Barlows Treppen- und Balkoninstallation (2010) ihre rätselhafte Aura fern jeder wohlfeilen Botschaft.

Manche Paarung wirkt atemberaubend. Thomas Schüttes streng-milder Gigant "Vater Staat" (halb Wolfgang Schäuble, halb Nathan der Weise) blickt aus fast vier Metern Höhe auf Giacomettis "La Jambe". Dieses knotig amputierte Bein mag Kriegshorror oder einen Autounfall des Künstlers bezeugen - auf jeden Fall führt es die Verletzlichkeit alles Organischen ebenso vor Augen wie Zoe Leonards zersägter und nun mit Nägeln und Platten geschienter Baum.

Assoziationsnetze

Schmerz, Tod, Folter: Henry Moores kurz vor dem Aufprall eingefangener "Falling Warrior" (1957) erzählt davon ebenso wie 1988 Bruce Naumans krudes "Carousel", das Tiere wie besiegte Soldaten über den Boden schleift. Und Naumans Kredo erfüllt, Kunst müsse "wie ein Schlag ins Genick" sein.

Wobei den Kuratoren Assoziationsnetze lieber sind als Moralkeulen. Zugleich respektieren sie die Wucht der Werke, die in luftig bestückten Räumen ihre Kraftfelder abstecken.

Marino Marinis "Miracolo" etwa friert Reiter und Pferd im fatal-fantastischen Sturz ein, dessen Schockwelle sich erst an Ulrich Rückriems archaischer Steinskulptur bricht. Und Pawel Althamers unheimliche Science-fiction-Prozession scheint direkt auf Candida Höfers Fotos der "Bürger von Calais" zu reagieren.

Obwohl nur 29 Künstler beteiligt sind, wirkt die Ausstellung monumental, auch dank Andreas Siekmanns gewaltigem Computer-Zeichnungs-Zyklus über Kollateralschäden der Globalisierung. Eine Reise durch die trügerisch bonbonbunte Welt der verseuchten Warenflüsse, der Deklassierten, Abgeschobenen und Gefangenen, die an den Zäunen rütteln. Auch Paul Chans knapp sechsstündiges Perversitäten-Video "Sade für Sade's Sake" ist ein (Ekel-) Universum für sich.

Was ist der Mensch heute?

Wie intelligent nicht nur mit Leihgaben, sondern auch mit der Sammlung gearbeitet wird, zeigt George Segals "Restaurant Window". Pop-Art? Nein, hier werden Edward Hoppers Entfremdungs-Studien plastisch, womit das Werk unerwartet ins Zentrum der Schau zielt: Was ist der Mensch heute?

Er ist gewiss eine politisch, physisch und seelisch gemarterte Kreatur, aber eben auch fantasievoller Widerstandskämpfer, stark gerade in aller Verletzlichkeit. So stellt Karla Blacks pudrig hingehauchte Arbeit der bronzenen und steinernen Härte ein weich-fragiles Idyll entgegen.

Kann das Museum heute noch Forum für Existenzfragen sein? Kasper Königs letzte programmatische Kölner Schau bejaht dies eindrucksvoll.