Neuer Generalmusikdirektor gibt Antrittskonzert nach Maß

Grandiose Alpensinfonie - Melodie der Farben - Werbetrommel im Vorfeld mit großem Aufwand und Geschick gerührt

Neuer Generalmusikdirektor gibt Antrittskonzert nach Maß
Foto: Horst Müller

Bonn. Es war ein Antrittskonzert nach Maß. Stefan Blunier, Bonns neuer Generalmusikdirektor, hatte sein Debüt in der ausverkauften Beethovenhalle generalstabsmäßig vorbereitet: Wohl noch nie wurde in Bonn vor einem solchen Ereignis die Werbetrommel mit ähnlich großem Aufwand und Geschick gerührt, Plakataktionen, Slogans und Interviews in diversen Medien zu einer offensiven Kampagne kombiniert, um auf eine neue Zeit aufmerksam zu machen.

Freilich will Blunier sich die Sympathie des Publikums nicht mit populistischen Programmen erkaufen. Immerhin ist das erste Stück, was die Bonner von ihrem Generalmusikdirektor zu hören bekamen, Györgi Ligetis "Lontano", ein irisierendes Klangfarbenstück aus den sechziger Jahren. Ihm folgten Arnold Schönbergs widerständige "Fünf Orchesterstücke" op. 16. Nach der Pause freilich durften Musiker und Hörer hemmungslos schwelgen - in den Klängen von Richard Strauss' in jeder Hinsicht monumentaler Alpensinfonie.

Das gemeinsame Band des "durchkomponierten Programms", wie Stefan Blunier die Werkfolge in seinem Einführungsvortrag bezeichnete, war die Bedeutung der Klangfarbe, die tatsächlich in allen drei Kompositionen von immenser Bedeutung ist. Man erfuhr von Blunier einiges über den Komponisten Alexander Skjabin (dessen "Prometheus" allerdings erst in ein oder zwei Jahren auf dem Programm stehen wird) und das Phänomen der Synästhesie, sprich: über die Fähigkeit mancher Menschen, in Klängen Farben zu sehen.

Und so hatte man am Ende der Einführung zwar den roten Faden in der Hand, doch mehr Informationen zu den Stücken selbst wären nicht schlecht gewesen. So jedenfalls wirkte Bluniers Vortrag weitaus abgehobener, als man es von den Musikwissenschaftlern gewohnt ist, die sich meist konkreter auf die Werke und ihre Komponisten einlassen. Die Musik selbst kam freilich äußerst sinnlich daher. Tatsächlich ist ja Ligetis "Lontano" ein Beispiel neuerer Musik, das trotz seiner Komplexität eher unmittelbar zu erfassen ist, als über intellektuelle Umwege.

Das Beethoven Orchester arbeitete unter Bluniers präzisen Vorgaben die kaleidoskopartigen Farbschattierungen und -übergänge sehr fein heraus, brachte die Farben dieses Klangbildes regelrecht zum Leuchten. Ligeti bereits erstaunlich nah ist die Idee der "Klangfarbenmelodie", die Schönberg 1909 im dritten seiner fünf Orchesterstücken realisiert. Es ist bis heute von magischer Wirkung, wie hier nur ein einziger Akkord durch das Orchester wandert oder - in der Wiedergabe durch das Beethoven Orchester - schwebt.

In den anderen vier Stücken fällt der Ton freilich harscher und expressiver aus. Das von Schönberg "Farben" betitelte dritte Stück ist übrigens das einzige aus diesem Opus mit einem wirklich programmatischen Untertitel: "Sommermorgen am See" lautet er und hätte genauso gut in Strauss' opulentem Tongemälde "Eine Alpensinfonie" erscheinen können. Denn die 135 Musiker, die der Komponist hier zum Einsatz bringt, illustrieren in 21 Stationen den Weg eines Gebirgswanderers von Sonnenaufgang bis nach Sonnenuntergang.

Und jede Station trägt eine konkrete Bildüberschrift wie etwa "Am Wasserfall", "Auf blumigen Wiesen" oder "Gewitter und Sturm - Abstieg". Das übliche Instrumentarium eines romantischen Sinfonieorchesters erhält hier Verstärkung unter anderem durch Orgel, Windmaschine, Donnermaschine, Kuhglocken, Celesta und durch ein mit zwölf Hörner besetztes Fernorchester, das Blunier hinten in den Saal auf die Treppe zum Rang postierte. Der sinfonische Alpenaufstieg beginnt in der Nacht, die vom Bonner Orchester mit dunklen Bassfarben in eine geheimnisvolle Klangaura gehüllt wurde.

Der orchestrale A-Dur-Glanz des Sonnenaufgangs wirkte danach umso gewaltiger. Für solche Momente braucht es hervorragende Bläser, über die man hier hörbar verfügt. Strauss hat mit der Alpensinfonie so etwas wie ein klingendes Handbuch der orchestralen Effekte geschrieben, fast jede der 21 Episoden bietet hier neue Eindrücke, die das Beethoven Orchester jedes Mal virtuos in Szene setzte. Das Fernorchester im "Anstieg", die flirrenden Geigen im "Wasserfall", die Naturlaute auf den "blumigen Wiesen", aber auch die Beethovens "Pastorale" an Effekten weit übertrumpfende Gewitterszene zählen dazu.

Von geradezu betörender Schönheit war im Anschluss daran der "Ausklang". Hier zeigte Blunier, dass Strauss mit seiner Komposition doch mehr wollte, als er es mit seinem berühmten selbstironischen Bonmot zum Ausdruck brachte, nämlich komponieren, "wie die Kuh Milch gibt". Das Publikum jedenfalls applaudierte begeistert und nahm noch dankbar Bluniers "Überraschung" als Zugabe entgegen: Ein frühes, romantisches Notturno für Streicher und Harfe von Schönberg mit einem wundervollen, von Liviu Casleanu mit viel Schmelz vorgetragenem Geigensolo.

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