Buch-Tipp Neuer Roman von Friedrich Ani

Bonn · Friedrich Anis neuer Kriminalroman „All die unbewohnten Zimmer“ greift Probleme der Zeit wie Flüchtlingselend, sexuelle Übergriffe oder Mobbing auf.

Im Klappentext klingt alles nach einer abgespeckten Version der „Glorreichen Sieben“. Vier seiner berühmten Ermittler will Friedrich Ani im neuen Kriminalroman „All die unbewohnten Zimmer“ zusammenspannen. Ex-Mönch Polonius Fischer holt die in die Provinz verbannte Syrerin Fariza Nasri zurück ins Münchner Mordkommissariat, der frühere „Verschwundenensucher“ Tabor Süden wird erneut rückfällig, und Jakob Franck bringt noch im Ruhestand Angehörigen der Gewaltopfer die Hiobsbotschaften.

Eine Superheldenschmonzette wird das Buch aber keineswegs. Zum einen, weil Ani seine Figuren eher aneinander vorbei statt gemeinsam ermitteln lässt und die lose herabbaumelnden Beziehungsfäden erst im Finale verknotet. Zum anderen, weil es hier weder bei Gesetzeshütern noch -brechern um Heroismus geht. Schon auf der „richtigen“ Seite stehen Versehrte, die der ständige Umgang mit Tod und Traurigkeit zumindest ermüdet, wenn nicht in eine fast lebensmüde Lethargie gezwungen hat. Und ihre Gegner? Keineswegs kriminelle Großkaliber, sondern (wie im ersten Fall einer erschossenen Bibliothekarin) angstbesessene Durchschnittsmenschen oder affektgetriebene Verlierer.

Der zweite Fall entpuppt sich als Mysterium: Der Polizist Philipp Werneck wird am Rand einer Rechtspopulistendemo mit einem Pflasterstein erschlagen. Warum hat er die (diebischen?) Flüchtlingskinder Mohamed und Hasim verfolgt? Warum blieb sein Kollege im Wagen? Und wen will der deklassierte Alleinunterhalter Jeremias „Jerry“ Soltau mit seinem offenbar falschen Geständnis schützen?

Der dunkle Sog

Betrachtet man nur die Oberfläche, scheint die Handlung fast träge dahinzufließen, doch der Münchner Autor (Jahrgang 1959) vertraut ja ohnehin eher dem dunklen Sog tief unter dem Wasserspiegel. Fast jeder verbirgt hier eine traumatisch entzündete Wunde. Süden, dessen Vater vor fast 35 Jahren spurlos verschwunden war, Franck, der den Tod seiner kleinen Schwester nicht hatte verhindern können, Jerry, dem auf der Bühne die Töne nicht mehr gehorchen, sowie Mohamed und Hasim, deren Mutter und Großmutter in Aleppo starben.

Flüchtlingselend, rechte Gewalt, sexuelle Übergriffe und Mobbing – der Sohn eines Syrers und einer Schlesierin greift zwar naheliegende Phänomene auf, die er seinen Figuren jedoch nie plakativ anklebt. Die Glaubwürdigkeit der gebrochenen Charaktere und die tastende Wahrheitssuche in verschiedensten Milieus faszinieren denn auch derart, dass die Auflösung des Polizistenmordes beinahe nebensächlich scheint. Wobei der Spannungsarchitekt Friedrich Ani in die vermeintliche Zielgerade noch eine dramaturgische Haarnadelkurve einbaut.

Wie bei den Büchern seines ähnlich melancholischen Kollegen Jan Costin Wagner hallen hier viele Stimmen lange nach. Vor allem die von Südens rätselhafter Geliebten Indra Juwehl – und die der verzweifelt-zornigen Fariza Nasri.

Friedrich Ani: All die unbewohnten Zimmer. Roman, Suhrkamp, 495 S., 22 Euro. Der Autor liest auf der Crime Cologne: Do, 14.11.,

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