Wechselausstellung im Haus der Geschichte Nicht jeder Traum geht in Erfüllung

Der Zug, in dem Armando Rodrigues de Sá sitzt, fährt am 10. September 1964 kurz vor 10 Uhr auf dem Köln-Deutzer Bahnhof ein. Es ist einer von zwei Sonderzügen, die insgesamt 1106 künftige "Gastarbeiter" aus Spanien und Portugal nach Deutschland bringen. Als der 38-jährige gelernte Tischler de Sá nach der Ankunft seinen Namen aus dem Lautsprecher hört, ahnt er zunächst nichts Gutes.

 "Immer bunter": Das Plakat zur Ausstellung im Haus der Geschichte. FOTO: © BÜRO WEISS, BERLIN

"Immer bunter": Das Plakat zur Ausstellung im Haus der Geschichte. FOTO: © BÜRO WEISS, BERLIN

Insgesamt 48 Stunden Zugfahrt liegen hinter ihm, und da er befürchtet, dass er wieder nach Hause zurückgeschickt werden könnte, versteckt er sich zunächst in der Menge.

Doch die Kollegen schieben ihn nach vorne, und ehe sich de Sá versieht, sitzt er mit einem Blumenstrauß in der Hand auf einem Mokick der Marke Zündapp Sport Combinette und wird von allen Seiten fotografiert. Erst langsam und mit Hilfe eines Dolmetschers versteht er die Situation: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat ihn aus einer Namensliste der angeworbenen Arbeitskräfte als millionsten Gastarbeiter zufällig ausgewählt. Das Mokick ist sein Gastgeschenk.

Das Foto des etwas überfordert schauenden Rodrigues de Sá auf seinem Mokick gehört inzwischen zum kollektiven Bildgedächtnis in Deutschland. Wer es sieht oder sich in Erinnerung ruft, wird an die Anfänge eines Themas geführt, das über 50 Jahre alt ist und uns heute mindestens genauso beschäftigt wie damals. Vom ersten Anwerbeabkommen, das Deutschland 1955 mit Italien abschloss, über den Anwerbestopp knapp 20 Jahre später, bis zu den Herausforderungen der heutigen zweiten und dritten Generation der deutschen Bürger mit "Migrationshintergrund". Von den Hoffnungen auf ein wirtschaftlich besseres Leben, über ausländerfeindliche Parolen bis zur Nagelbombe vor einem Kölner Imbiss. Von den Verständigungsproblemen des Rodrigues de Sá bis zur Entstehung von Parallelgesellschaften.

Deutschland ist zweifellos zum Einwanderungsland geworden und hat sich politisch vom Konzept der Staatsnation als Abstammungsgemeinschaft verabschiedet. Wie es dazu kam, welche Spannungen und Konflikte, aber auch kulturelle Bereicherungen damit verbunden sind, erzählt die neue, hervorragende Wechselausstellung mit dem Titel "Immer bunter" im Haus der Geschichte.

[kein Linktext vorhanden]Es geht um Zahlen, Fakten und Zusammenhänge, aber genau wie in der Dauerausstellung des Hauses wird die Historie vor allem über die Objekte und Biografien transportiert. Das verhindert den Sprung von Klischee zu Klischee. Die rund 800 Exponate, darunter Filmausschnitte, etliche Audiostationen, private Leihgaben und auch das Zündapp-Moped von Rodrigues de Sá, erzählen die Geschichte einer Aufnahmegesellschaft und seiner Zuwanderer aus unterschiedlichen Perspektiven.

Ausstellung: "Immer bunter: Einwanderungsland Deutschland"
9 Bilder

Ausstellung: "Immer bunter: Einwanderungsland Deutschland"

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"Wir wollen zur Versachlichung des Themas beitragen und dabei so nah wie möglich an die Gegenwart herankommen", erklären die beiden Kuratoren Jürgen Reiche und Ulrich Op de Hipt. Einfache Lösungen, ob zur Kopftuchdebatte, Multinationalität oder Integrationspolitik, liefert die Ausstellung also glücklicherweise nicht. Es wird sie immer gleichzeitig geben - die Geschichte von der geglückten Integration, die anhand des Kostüms des ersten schwarzen Karnevalsprinzen oder eines griechischen Restaurants erzählt wird. Ebenso wie die Geschichten von gescheiterten Schullaufbahnen und Arbeitslosigkeit, von Fremdheit und Heimweh.

Auch das Leben des millionsten Gastarbeiters blieb nicht an dem Tag stehen, an dem er unerwartet zum Glückspilz geworden war. Als Hilfsarbeiter auf dem Bau führt ihn sein Weg unter anderem nach Stuttgart und Mainz. Sparsam ist er und schickt bald 550 DM im Monat nach Hause. Dreimal im Jahr besucht er seine Familie in Portugal. Von seinen Ersparnissen kauft er in Portugal ein Haus und Grundstücke für seine Familie, aber schon 1970 kehrt er nach einem Arbeitsunfall in sein Heimatdorf zurück. Er wird schwer krank, was große Teile seines angesparten Vermögens aufzehrt. 1979 stirbt er mit 53 Jahren. Seiner Familie bleiben vom Gastarbeiter-Traum das Häuschen und das geschenkte Mokick.

Haus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14, bis 9. August, Di-Fr 9-19, Sa, So, Feiertage 10-18 Uhr, Katalog, 19,90 Euro.

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