Bertolt Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ im Schauspielhaus Bonn Niedertracht und hoher Ton

Bonn · Mit der „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ zielt Bertolt Brechts Parabel auf Hitler und seinen unaufgehaltenen Aufstieg. Was das Ensemble im Schauspielhaus daraus macht, zielt auch mit Unterstützung des gesamten Apparats im Hintergrund nicht auf vordergründige Effekte. Aber effektvoll ist das Stück doch. Und damit macht es mächtig Eindruck.

   Der Gangster Ui und sein mephistophelischer Schauspiellehrer: Bernd Braun (links) und Christian Czeremnych.

Der Gangster Ui und sein mephistophelischer Schauspiellehrer: Bernd Braun (links) und Christian Czeremnych.

Foto: Thilo Beu

So viel Theater gab es lange nicht im Schauspielhaus. Regisseurin Laura Linnenbaum und ihr zehnköpfiges Ensemble verausgaben sich drei Stunden lang (abzüglich Pause) als Ideengeber, Einfalls- und Effektlieferanten. Maske, Kostümabteilung (Philipp Basener) und Bühnentechnik geben alles. Das Licht (Boris Kahnert) spielt eine im konkreten wie im übertragenen Sinne blendende Rolle: Es trägt aktiv zu unserer Erleuchtung bei. Die Musik von David Rimsky-Korsakow und David Lynch („The Pink Room“) trifft ins Innere. Zu sehen sind Parabel und Parodie, Schmierenkomödie und Schau, besser: Showprozess, ein wilder Tanz im Bühnennebel, groteske Komik und grandioses Gänsehautdrama, Mord, Korruption, Intrige und die Welt als Schlachtfeld, homoerotische Akzente und simulierter Sex (allein und zu zweit). Und das ist nur eine Auswahl des szenischen Angebots.

Sie spielen Bertolt Brechts Parabelstück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ aus dem Jahr 1941. Der Autor begriff sein in Finnland entstandenes Stück als „Versuch, der kapitalistischen Welt den Aufstieg Hitlers dadurch zu erklären, dass er in ein ihr vertrautes Milieu versetzt wurde“: das Gangstermilieu in Amerika. Brecht erfand einen nicht ganz ernst zu nehmenden und komplizierten Gigantenkampf um die Macht im Gemüsehandel in Chicago und Cicero. Protagonisten im Kampf um Karfiol (österreichisch für Blumenkohl) sind der Gangster Ui, der bestechliche alte Dogsborough (sprich: Hindenburg) und der „Trust“ – also das von Brecht stets agitprophaft bemühte Großkapital.

Ein leidenschaftlicher Hassgesang

Das Stück ist keine historische Analyse, sondern ein leidenschaftlicher Hassgesang. Das Führungspersonal erscheint zumeist knallchargenhaft: ob in Gestalt von Ernesto Roma (SA-Mann Röhm), Emanuele Giri (Göring) oder Giuseppe Givola (Goebbels). Brecht machte sie mit den Mitteln der Persiflage und seiner parodistischen Sprachkunst fertig. Die Figuren verkörpern Niedertracht, aber sie tun dies im hohen Ton à la Shakespeare und Goethe. Um die Sache auf die Spitze zu treiben, lieh sich Brecht Szenen und Motive aus Werken der verstorbenen Kollegen aus, zum Beispiel aus Shakespeares mörderischem Drama „Richard III.“

Bernd „Brecht“ Braun leitet als Ansager die „große historische Gangsterschau“ ein. Er erscheint wie der Autor zu Lebzeiten in Lederjacke und mit Zigarre. In der Hocke neben ihm: Christian Czeremnych als Ui. Anfangs ein auftrumpfender, aber partiell naiver und unsicherer Mann, verwandelt er sich später in einer gespenstisch großartigen Szene in einen charismatischen, manipulativen und gefährlichen Anführer. Maßgeblich beteiligt an dieser Metamorphose ist Braun, diesmal als mephistophelischer Gustaf-Gründgens-Wiedergänger, der seine Expertise dem Gangster vermittelt: die Kunst als Diener der Macht.

Bilder, die im Gedächtnis bleiben

Es gibt viele solch intensive Bilder, die im Gedächtnis bleiben. Allein mit einem roten Vorhang aus Samt erzählt die Inszenierung mehrere Geschichten. Er erscheint als Bühnenvorhang, als Herrscherumhang, als Tischdecke und Totenbett. Der verbrecherisch-politisch-ökonomische Teufelspakt spiegelt sich auf suggestive Weise. Sie stecken unter einer Decke, sie sitzen gemeinsam auf einem putinesk langen Tisch. Uis von Messias- und Popstarposen begleiteten Aufstieg beglaubigt die Technik mit Fahrten gen Bühnenhimmel; Ermordete werden unten entsorgt. Daneben nimmt sich der Abend die Freiheit, immer wieder auf selbstironisches Augenzwinkern und Klamauk umzuschalten – ohne die Balance der Aufführung zu gefährden. Allein der Schauprozess zieht sich ein bisschen.

Die Schauspieler, mit viel Rot um die Augen als Monster, vielleicht auch Untote, geschminkt, stürzen sich mit Verve in die theatrale Herausforderung. Czeremnych hat auf Valentin Baumeisters abstrakt-düsterer Bühne große Auftritte. Timo Kählert vermittelt als Roma trotz aller Monstrosität freundschaftliche Gefühle; und er kann „My Way“ singen. Lena Geyer als Giri lacht so gruselig, als hätte sie das in der Hölle gelernt. Jacob Z. Eckstein brilliert als aasiger Givola, Andreas Leupold als windiger Dogsborough und als verfolgter, schließlich ermordeter Dullfeet (Vorbild: der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß). Ursula Grossenbacher und Wilhelm Eilers verkörpern lauernd-kalkulierende Karfiol-Trustees. Sophie Basse zeigt als Betty Dullfeet nacheinander Femme fatale, trauernde Witwe, Rachegöttin und folgsame Gangsterbraut. Riccardo Ferreira stellt anrührend das Gute im Menschen dar. Es hat in dieser Bühnenwelt keine Chance.

Warnhinweis mit Aktualitätsbezug

Die Inszenierung endet konsequenterweise ohne Brechts Warnhinweis: „So was hätt einmal fast die Welt regiert! / Die Völker wurden seiner Herr, jedoch / Dass keiner uns zu früh da triumphiert – / Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“ Im Schauspielhaus setzen sie stattdessen auf Gegenwartsbezug: mit einem Zitat von Donald Trump und Pullundern mit einem in Farbgebung und Pfeilmotiv nachempfunden Logo einer rechtsextremen Partei.

Drei Stunden, eine Pause. Die nächsten Aufführungen: 24. und 26. Mai; 1., 7. und 17. Juni. Karten gibt es bei Bonnticket. Das Stück wird in der Spielzeit 2023/24 wieder aufgenommen.

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