Dortmunder Ensemble Nussknacker in der Bonner Oper

Bonn · Turbulentes „Nussknacker“-Tanzspiel aus Dortmund zu Gast in der Bonner Oper. Das große Ensemble überzeugte mit tänzerischer Eleganz und köstlichem Humor.

 Buntes Vergnügen: Szene aus der „Nussknacker“-Inszenierung aus Dortmund.

Buntes Vergnügen: Szene aus der „Nussknacker“-Inszenierung aus Dortmund.

Foto: Bettina Stöß

Auf Skiern kommen einige Gäste herangefahren zur munteren Weihnachtsparty im kunterbunten Häuschen, wo sich die Familie der kleinen Clara versammelt hat. In satten, klaren Farben leuchten die riesigen Geschenke-Kisten vor dem stilisierten grasgrünen Tannenbäumchen. Das Bühnenbild des Malers und Kinderbuchillustrators Paul Cox, der auch die witzigen Kostüme entworfen hat, ist ein echter Hingucker in der spielerisch heiteren Inszenierung des französischen Starchoreografen Benjamin Millepied. Weltbekannt wurde der ehemalige Solist am New York City Ballet, wo er unter anderem in Kreationen von George Balanchine tanzte, durch den Film „Black Swan“ an der Seite von Natalie Portman, mit der er seit 2012 verheiratet ist. Von 2014 bis 2016 war er Direktor des Balletts der Pariser Oper.

Seine Version von Tschaikowskys „Nussknacker“, 2005 entwickelt für die Genfer Oper und 2015 erstmals in Deutschland aufgeführt vom Ballett Dortmund, erzählt die von E.T.A. Hoffmann inspirierte Geschichte schnörkellos modern als eine Art Märchen-Comic. Der Nussknacker, den Onkel Drosselmeier seiner Nichte Clara schenkt, trägt einen grünen Kermit-Kopf, was gleich ein anderes Märchen evoziert, in dem der Frosch zum schönen Prinzen mutiert. Kein glitzerndes Lametta also, keine klassischen weißen Tutus und selten Spitzenschuhe bei dieser „Nussknacker“-Lesart, die das beliebte Weihnachts-Ballett mit vielen pfiffigen Ideen für das Publikum des 21. Jahrhunderts aufbereitet.

Der skurrile Drosselmeier mit grauem Riesenzylinder zaubert mit seiner Schreibfeder am Tablet lustige Kinderzeichnungen auf den weißen Projektions-Vorhang und aus einer winzigen Schachtel sogar eine Riesenpfeife, die wie ein Alphorn aussieht. Er lässt Puppen lebendig werden, Mäuse tanzen (aufgedreht mit einem Schlüssel am Rücken) und gegen eine Armee von Zinnsoldaten antreten, bis der Mäusekönig im Samtgewand kapituliert. Besiegt von Drosselmeiers schüchternem Neffen, der sich mit Froschmaske, grünen Stiefeln und weißrotem Militärkostüm als Mini-Superheld erweist.

Eine kesse Stepp- Einlage

Die erwachsene Festgesellschaft hat derweil Spaß – neben allerhand Tanzvergnügen gibt’s sogar eine kesse Stepp- Einlage. Sehr komisch mischen die Großeltern mit, bis alle sich müde verabschieden und Claras Eltern zu Bett gehen. Offenbar sind die beiden sehr verliebt, weshalb Millepied ihnen zuvor noch einen erotisch aufgeladenen Pas de deux gönnt. Dann dürfen die pubertierenden Kinder (hier verkörpert von zwei jungen Nachwuchstalenten) endlich träumen.

Bezaubernd ist der Schneeflockenwalzer, bei dem die Tänzerinnen und Tänzer in langen weißen Röcken wie zarte Luftgeschöpfe herumwirbeln, um die kleinen Träumer ins Reich der Zuckerfee zu entführen. Die dreht ihre Pirouetten im rosa Tellerröckchen wie eine Spieluhr-Ballerina tatsächlich auf der Spitze zum himmlischen Celesta-Glöckchenklang, den der Komponist für sein letztes Tanzstück forderte. Knapp ein Jahr nach der missglückten Uraufführung 1892 in St. Petersburg starb Tschaikowsky – ohne zu ahnen, dass sein „Nussknacker“ einige Jahrzehnte später als das Ballett-Wintermärchen schlechthin die internationalen Bühnen erobern würde.

Nach der Pause steht hier das Familien-Puppenhaus auf dem Kopf. Neben Pyramiden von Süßigkeiten hocken die beiden Kinder auf der Dachkante und erforschen an einem Riesenglobus die Länder, aus denen die Fee ihnen tänzerische Grüße schickt. Das ist ein hübscher Kunstgriff, denn dramatisch passiert im zweiten Akt wenig. Es ist eine brillante Show mit temperamentvollen Spaniern, gelenkigen Mädchen aus Arabien, sprungstarken Chinesen, robusten Russen und koketten Griechen. Beim Blumenwalzer flirten die Gärtner mit den Blütengirls, die ihre Pflanztöpfe als Hüte nutzen. Die männliche Lebkuchenmutter trägt zum widerspenstigen Rokoko-Reifrock viel Busen und Vollbart, was an Conchita Wurst erinnert und für erheiterten Extra-Applaus sorgt. Natürlich darf der romantische Pas de deux der Zuckerfee mit dem Prinzen nicht fehlen.

Die klassischen Ballettfiguren werden mit liebevoller Ironie zitiert, bis die Kinder selig erwachen aus ihren naiven Fantasien, die hier das beängstigend Groteske des Märchens aussparen zugunsten eines originellen Spiels mit Konventionen. Das große Dortmunder Ensemble überzeugte bei seinem Bonner Gastspiel mit tänzerischer Eleganz und köstlichem Humor. Nach zweieinviertel Stunden begeisterter Beifall bei der ausverkauften Abendvorstellung am Samstag vor Weihnachten.

Weitere Vorstellungen am 27. und 28. Dezember jeweils um 19.30 Uhr. Restkarten an der Abendkasse.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Stunde der Sieger
Abschluss Deutscher Musikwettbewerb in Bonn Die Stunde der Sieger
Zum Thema
Aus dem Ressort