Opernsänger mögen Orangenmarmelade

Wehe, wenn sie losgelassen: In "Quartetto" proben vier abgehalfterte Solisten ihr Comeback - Horst Johannings Inszenierung im Contra-Kreis Theater Bonn changiert zwischen Humor und Melancholie

Bonn. Ein Tenor muss nicht immer dumm sein. Vor allem nicht, wenn er Reggie heißt, zur selbst ernannten Elite eines Seniorenheims für Musiker gehört und an seiner Autobiografie arbeitet. Reggie doziert gern über kunstphilosophische Fragen, bricht aber mitten im wissenschaftlichen Diskurs schon mal in heftiges Wehklagen aus, weil die Oberschwester ihm schon wieder die heiß geliebte Orangenmarmelade zum Frühstück verweigert hat.

Irgendwo zwischen verblasstem Starruhm und der Suche nach neuem Lebensinhalt fristen Reggie und seine Freunde Cecily, Wilf und Jean ihr Rentnerdasein. Sie sind das Quartett, das Ronald Harwoods Stück den Namen gibt.

Horst Johannings Inszenierung von "Quartetto" im Contra-Kreis ist eine zauberhafte Melange aus handfestem Humor und leiser Melancholie, Slapstick und Alterswehmut. Es darf geschmunzelt und laut gelacht, aber auch mitgelitten werden mit diesen vier Opernstars auf dem Abstellgleis, die sich selbst die strenge "KSM"-Regel (Kein Selbstmitleid) auferlegt haben. Komisch wird es vor allem dann, wenn Harwood die verschiedenen Persönlichkeiten gegeneinander ausspielt.

Als Künstler sind sie allein von Berufs wegen ein wenig durchgeknallt, aber da enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Der freundliche und bescheidene Reggie (zum Knuddeln: Konrad Krauss) will immer alles richtig machen, hat aber mit plötzlichen infantilen Trotzreaktionen auf den Marmeladenentzug zu kämpfen.

Wilfrieds einziges Problem ist das zwanghafte Verbalisieren seiner sexuellen Fantasien; der bukolische Alexander Grill fühlt sich in dieser Rolle sichtlich wohl. Grundverschieden auch die Damen: Susanne Tremper als Jean, die Diva mit der ruhmreichsten Vergangenheit und der kaputtesten Hüfte, macht ganz auf Callas: egozentrisch, kapriziös, mit rücksichtlosem Charme - aber bei Reggie, mit dem sie mal neun Stunden lang verheiratet war, wird sie immer noch weich.

Und Katinka Hoffmann ist die liebe, manchmal schon etwas schusselige Cecily, die sich aber jederzeit noch am Anblick des knackigen Gärtners erfreuen kann. Das Quartett muss sich zusammenraufen, als die jährliche Geburtstagsgala zu Ehren von Giuseppe Verdi bevorsteht.

Das Organisationskomitee des Seniorenheims (dessen reales Vorbild, das Mailänder "Ruhestandshaus für Musiker Giuseppe Verdi", der Komponist selbst stiftete) hat sich in den Kopf gesetzt, dass die vier illustren Mitbewohner noch einmal das Quartett aus dem "Rigoletto" aufführen, mit dem sie in grauer Vorzeit ihren Durchbruch gefeiert hatten. Aber wie con forza e grandezza singen, wenn die Stimme nur mehr ein schwacher Abglanz früherer Größe ist?

Zu Recht zweifelt das "Quartetto"-Publikum keinen Augenblick daran, dass den findigen Senioren etwas einfallen wird. Und tatsächlich setzen sie in Sachen Verdi`scher Aufführungspraxis neue Maßstäbe. Ein Abend, der als Komödie voller Dialogwitz, Situationskomik und Spielfreude anfängt, endet als große Oper - aber nicht als Trauerspiel.

Bis zum 18. Mai. Karten unter (02 28) 63 55 17.

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