Paris, du bist die schönste Stadt der Welt

Der Schauspieler Andreas Maier bestreitet "Reality Bit(e)s 18" in der Werkstattbühne am Bonner Opernhaus mit einer klug bescheidenen Lehrstunde aus den Anfängen der deutsch-französischen Freundschaft

  Andreas Maier in der Werkstatt:  "Mein Großvater war Nazi".

Andreas Maier in der Werkstatt: "Mein Großvater war Nazi".

Foto: Lilian Szokody

Bonn. Als "Französisches Roulette" war der Abend in der Werkstatt-Reihe "Reality Bit(e)s" angekündigt. Die Kugeln kamen jedoch nicht aus einem Revolver, sondern entpuppten sich als scheinbar harmloses Boule-Spiel auf dem Granulatboden aus dem Bühnenbild von Marivaux'' "Streit".

Der Schauspieler Andreas Maier hat sein konzentriertes Solo (die versprochenen Ensemble-Kollegen waren offenbar woanders, was sich letztlich als Glücksfall erwies) über die Liebe in Zeiten des Krieges mit dem französischen Volkssport sympathisch unprätentiös geerdet und mit den (tatsächlichen) Erinnerungen seines Großvaters geschickt ans Persönliche angebunden, ohne die erzählerische und darstellerische Distanz aufzugeben.

Ein gelungener Balance-Akt zwischen privater Intimität und objektiver Differenzierung: "Mein Name ist Andreas Maier, und mein Großvater war Nazi." Eine einfache Geschichte also von einem 1920 in der Nähe von Regensburg geborenen Mann, seiner ersten großen Liebe, seiner erfolgreichen Bewerbung zur Waffen-SS (allen Nachgeborenen hinlänglich vertraut: mehr aus Opportunismus denn aus Überzeugung) und dem Leben im von den Deutschen besetzten Paris zwischen 1940 und 1944 ist der Rahmen seiner Inszenierung.

Maier hat Texte aus dieser Zeit zusammengestellt und mit ihnen sanft ironisch gespielt: Erzählungen, Erinnerungen von bekannten und weniger bekannten deutschen und französischen Autoren. Nicht den hohen Siegerton eines Ernst Jünger oder heroische Berichte aus der Résistance rückt er ins Zentrum, sondern Dokumente des Alltags im brutalen Ausnahmezustand.

Briefe des deutschen Soldaten Heinrich Böll zum Beispiel oder die scharfsinnigen Beobachtungen Jean-Paul Sartres, der nach seiner kurzen deutschen Gefangenschaft in Paris Philosophie lehrte und 1944 das Paradox formulierte: "Niemals sind wir freier gewesen als unter der deutschen Besatzung."

Es sind die schnellen Perspektivenwechsel zwischen fasziniert staunenden Siegern in der französischen Metropole - "Paris, du bist die schönste Stadt der Welt" tönt im Hintergrund - und trotz aller Bedrohungen selbstbewussten Besiegten. Kleine Geschichten wie die vom zufälligen Besuch zweier deutscher Offiziere in einem jüdischen Friseurladen zeigen atmosphärisch genau die Mischung aus Angst und List, mit der man überlebte.

Geschichten wie die vom mutwillig von deutschen Soldaten erschossenen Clochard, dem sich keine rettende Tür öffnete, und dem Concierge, den man fast lynchte, als er das Blut wegwischte, zeigen die normalen Perversionen der "Solidarität". Witzig böse ist die Definition der Syphilis als weiblicher Geheimwaffe. Maier klagt nicht an und idyllisiert nicht.

Ab und zu springt er von seinem Lesetischchen auf, wenn aus dem Lautsprecher die willkürlichen Rachebefehle der Deutschen dröhnen. Ab und zu lässt er alte Dias über die metallische Rückwand flimmern, und man nimmt scheinbar private "Schnappschüsse" plötzlich so klirrend wörtlich wie die scheinbar harmlose Chanson-Berieselung vom Band.

Seinem Opa setzt er dennoch ein zärtliches Denkmal, denn der hat als alter, längst mit einer anderen Frau verheirateter Mann seine vom Krieg verwehte Liebe noch einmal kurz wieder getroffen. Maier zieht dann seine Wehrmachtsuniform aus, steht in Bleu-Blanc-Rouge hilflos da wie eine heftig gerupfte Verkörperung eines unverwüstlichen Liberté-Traums und malt sein "Je t''aime" fast verschämt auf ein Täfelchen.

Diese klug bescheidene Lehrstunde aus den Anfängen der deutsch-französischen Freundschaft ist ein spannender Beitrag zum 60. Jahrestag des Endes des 2. Weltkriegs und hätte entschieden mehr Zuschauer verdient als die, die in der Werkstatt animiert applaudierten.

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