"Pariser Leben" ohne Schwung

Premiere in Bonner Oper: Offenbachs Operette kommt erst nach Pause gut an

"Pariser Leben" ohne Schwung
Foto: Thilo Beu

Bonn. Ein langer Anlauf mag im Sport in manchen Disziplinen ganz nützlich sein. Im Theater ist er nicht zielführend. Regisseurin Andrea Schwalbach braucht eine geschlagene Stunde, sprich: etwa die Hälfte der Aufführung, bevor sie auf der Bonner Bühne im "Pariser Leben" gelandet ist.

Das ist sehr lang - und bisweilen auch sehr dröge. Schwalbach, die in Bonn eigentlich als sichere Bank für ungezwungen Heiteres aus Oper und Operette gelten darf ("Die Italienerin in Algier", "Im weißen Rössl"), bemüht sich in aller Redlichkeit, etwas zu entwirren, was man am besten in Champagnerlaune nicht besonders wichtig nimmt: die Handlungsstränge in dieser Offenbach-Operette.

Trotz der klingenden Librettisten-Namen von Henri Meilhac und Ludovic Halévy gibt's da ein hanebüchenes Durcheinander. Es reicht zu wissen, dass ein schwedisches Paar Paris mit sehr unterschiedlichen Absichten erleben will: er träumt von der Sünde, sie (zunächst einmal) von der Oper.

Drumherum knubbeln sich Irrungen und Wirrungen, Maskeraden und Verwechslungen. Nach der Pause lässt Schwalbach von all diesen Erzähl-Anstrengungen ab und beherzigt das Motto der Paris-Touristen: "Ich stürz' mich in den Strudel rein."

Jetzt arrangiert sie - Rafaele Giovanola entwickelt dazu reizvolle Choreografien - mit wunderbar leichter Hand Revue-Szenen - von der Champagner-Orgie (mit sehr gewöhnungsbedürftiger schwedischer Trikotage) bis zum großen Finale auf der Eisbahn.

Das Leben ist eine Rutschpartie, will das wohl sagen, erst recht in Paris und erst recht, wenn es um Liebe, Lust und Laster geht. Die Regisseurin selbst rutscht dabei so gerade noch in die Erfolgsspur.

Die Inszenierung geht endlich in die Beine, nicht zuletzt deshalb, weil Dirigent Wolfgang Lischke und das Beethoven Orchester mit allen Verführungskünsten arbeiten, witzige Opern-Parodie ebenso drauf haben wie den zündenden Can Can - und den wirklich mit Schmackes. Das klingt fabelhaft und inspiriert, hat selbst bei den schlichtesten Couplets noch Stil.

Offenbachs Operette entstand ein Jahr vor der großen Weltausstellung 1867 in Paris, bei der sich der Fortschrittsglaube ungebremst entfalten konnte. Bühnenbildnerin Anne Neuser setzt - mit sehr bewussten Anklängen an Chaplins "Moderne Zeiten" - allerlei technisches Gerät ein.

Mitunter scheint es so, als wolle die Inszenierung, die gern mal grau gekleidete Werktätige aufmarschieren lässt, sich auch noch ins Elend einer Welt vorwagen, in der Maschinen das Leben prägen. Dieser Ansatz löst sich, mit fortschreitendem Amüsierwillen aller Beteiligten, irgendwann ins Nichts auf. Was durchaus begrüßenswert ist.

Das Premieren-Publikum feierte das Ensemble ordentlich. Es hatte dazu auch allen Grund. Offenbachs "Stück mit Gesang" hat reichlich Rollen und fordert eine gescheite Mischung von Opern- und Schauspiel-Ensemble.

Wenn es um die Musik ging, so hatten zwei Damen die Kehlen vorn: Julia Novikova als Handschuhmacherin Gabriele, die sich voller Charme in jede erdenkbare Höhe zwitschern kann, und Julia Kamenik (Pauline), die auf unnachahmliche Art den großen Ton in diese Operette bringt. Die beiden Lebemänner daneben spielen, sehr ordentlich freilich, nur die zweite Geige: Tansel Akzeybek mit viel Eleganz in der Stimme, Paul Brady mit etwas robusterem Einsatz.

Es gibt aparte Studien: Anjara I. Bartz (Metella) versucht mit ordentlich Rauch im Rachen klarzumachen, dass Paris irgendwann einmal auch was Verruchtes hatte, Klaus Brantzen (Frick) verbreitet schön nostalgische Musette-Stimmung, Mark Rosenthal (Brasilianer) ist fürs Exotische zuständig, Günter Alt stemmt ein Trumm von Weib auf die Bühne.

Und unsere alten Schweden? Roland Silbernagl schlägt sich mit gelben Gummistiefeln und größter Unerbittlichkeit durch die Tücken des vermeintlich sündhaften Pariser Lebens, Nina V. Vodop'yanova wandelt sich mit enzückender Unbefangenheit vom scheuen Nordlicht zur munteren Pariserin.

Die nächsten Aufführungen: 22. und 29. November.

Karten in den GA-Zweigstellen

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