Sammlung von Wolfgang Hahn in Köln Per Zeitkapsel zurück in die 60er Jahre

Köln · Das Kölner Museum Ludwig inszeniert die Sammlung von Wolfgang Hahn. Kuratorin Barbara Engelbach sieht die Werke als „Zeitkapsel“, mit der man in die 60er Jahre reist.

 Blick in die Vergangenheit: „Modern Optics“ von Daniel Spoerri.

Blick in die Vergangenheit: „Modern Optics“ von Daniel Spoerri.

Foto: dpa

Der Sammler sitzt bescheiden in der Ecke seines Wohnzimmers. Neben ihm hockt George Segals Gipsfrau, über ihm schwebt eine von Andy Warhols „Silver Clouds“, und an der Wand hängt Claes Oldenburgs „Männerjacket mit Hemd und Krawatte“.

Wolfgang Hahn (1924-87) hat, wie dieses Foto im Museum Ludwig zeigt, inmitten von Kunst gelebt. Und seine Witwe erinnert sich, „wie selbstverständlich wir uns immer um Beuys' empfindliche Tür aus verbranntem Holz herumschlängelten“. Als Chefrestaurator am Wallraf-Richartz-Museum/Museum Ludwig war Hahn ein Mann vom Fach, der privat dem Puls der Avantgarde lauschte und deren damals erschwingliche Werke zielsicher erwarb. Sein großes Glück: In den 60er Jahren war das Rheinland Schauplatz einer Kunstrevolution, die unter Begriffen wie Nouveau Réalisme, Fluxus oder Happening alle Ateliergrenzen sprengte, Straßen zur Bühne machte – und keineswegs museal sein wollte.

„Kunst ins Leben!“ heißt denn auch die aufregende Schau, mit der das Kölner Haus erstmals einen Gesamtüberblick über diese imposante Kollektion bietet. Gemeinsam mit dem Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (mumok), denn 1978 hat die Republik Österreich Hahns Schätze erworben.

Kuratorin Barbara Engelbach sieht die Werke als „Zeitkapsel“, mit der man in die 60er Jahre reist. Und zwar per Katapultstart. Schon der erste Saal hat es in sich: am Boden Christos „Wrapped Mannequins“, deren Schaufensterpuppenschönheit nur matt durch trübe Folie schimmert. Und an der Wand „Hahns Abendmahl“, die Fluxus-Inkunabel von Daniel Spoerri. Zum Essen in der Kölner Wohnung des Sammlers kamen Künstler, Galeristen und Autoren. Am Ende dann fixierte Spoerri alle Gegenstände auf dem Tisch und kippte das Tableau als Wandbild in die Vertikale: Gläser, Teller, Tassen, sechs Flaschen Rosé sowie ein Schälchen mit Olivenkernen künden vom Gelage.

Das Prozesshafte dieser Kunst lässt sich heute nur noch in Fotos oder Berichten erleben. Spoerris „Koffer“ hängt hier hübsch chaotisch an der Wand, doch die Performance samt aufgesägtem Schloss, Schießaktion zu Ehren von Niki de Saint Phalle und dem arg unbekömmlichen Verzehr lackierter Salzstangen muss man im (vorzüglichen) Katalog nachlesen. Also eine Parade „toter“ Werke? Keineswegs! Nam June Paiks „Klavier Intégral“ rebelliert mit seinen zerrupften Innereien sowie der Eierschalen- und BH-Dekoration immer noch lebhaft gegen die bürgerliche Musikerziehung. Michael Buthes zerschnittene Leinwand weist ins Land „Jenseits der Malerei“, wie ein Kapitel dieser luftig präsentierten und doch unglaublich dichten Schau heißt. Denn so halbstark manche Revolte auf den ersten Blick wirkt, so gründlich arbeiteten sich die Künstler an klassischen Genres ab. Auch an der Skulptur, die in Jean Tinguelys „Demi Baroque“ zum Wassersprenger mit Elektromotor mutiert.

Der Parcours bietet neben der Hauptachse diverse Nebenstraßen, die etwa in Chargesheimers menschenleeres Köln oder die Labore der Konzeptkunst führen. Am schönsten ist vielleicht die Sektion „Private Mythologien“ inszeniert: mit Paul Theks ernsthaft-verspieltem Kruzifix samt aufgebahrtem Bussard sowie Lil Picards makabrem „Selfportrait“ als massakrierter Zombie.

Und gewissermaßen als Zugabe gibt's Dieter Roths „Schimmelmuseum“, in dem die Sonne als Salamischeibe in Acryl untergeht. Aus dieser Zeitkapsel steigt man äußerst erfrischt wieder aus.

Ab 24. 6. bis 24. 9., Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, jeden ersten Donnerstag im Monat bis 22 Uhr geöffnet. Der Katalog zur Ausstellung kostet 38 Euro. Heinrich-Böll-Platz. Weitere Informationen zur Ausstellung im Internet unter www.museum-ludwig.de

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