Peter Sloterdijk beim "Westwärts"-Festival in Kammerspielen

Der Philosoph referiert in Bad Godesberg über Deutschland als "massenmedial integrierte, sekuritäre, bürokratische, kleptokratische Gesellschaft"

Peter Sloterdijk beim "Westwärts"-Festival in Kammerspielen
Foto: dpa

Bonn. Man machte sich Sorgen um Peter Sloterdijk. Da schlurfte ein gebeugter Mann in Zeitlupe auf die Bühne der Kammerspiele in Bad Godesberg. Ist der Philosoph derart gealtert seit der lit.Cologne? Nein, ist er nicht.

Sloterdijk hat sich, wie er verrät, den Habitus des "philosophischen Spaziergängers" zugelegt, der sich im Rahmen des "Westwärts"-Festivals einer "Träumerei" überließ. Zum Ausgangspunkt nahm sich der Philosoph Jean Jacques Rousseau, der vor wütenden Bürgern auf einen Kahn flüchtete und dort den "Traum von sich selbst" träumte.

Für Sloterdijk die "Geburtsstunde des europäischen Existenzialismus". Das Ich als Fluchtpunkt wird zum "Gegenstand des Wohlbefindens". Sloterdijk schlüpfte nun in die Rolle dieses Träumers und vernahm prompt Störgeräusche: Die Krise trötet dazwischen.

"In der Krise spricht die Stimme des Realen zu uns", sagte Sloterdijk und meint einen, vor allem von der Linken intonierten "brausenden Wiederverarmungsjubel" zu vernehmen, der darin eine "Besinnung auf das Wesentliche" feiere.

Ein verständlicher Wunsch, verstehe sich das europäische Subjekt doch als ein "Wesen des Mangels", das eben nicht gelernt habe, in einer reichen Gesellschaft zu leben: "Wir lieben den Mangel wie uns selbst." Zugleich sieht Sloterdijk die Krise als Gelegenheit, den wahren Namen unserer Gesellschaft zu ermitteln.

Begriffe wie Demokratie oder Marktwirtschaft gelten ihm als Phrase. Im Kern sei Deutschland eine "massenmedial integrierte, sekuritäre, bürokratische, kleptokratische Gesellschaft". Steuersätze von fast 50 Prozent weisen dabei auf ein "semi-sozialistisches System", dessen Basis das Verhältnis von Kreditgebenden und -nehmenden, also Schuldnern sei.

Mit diesem FDP-nahen Albtraum beendete Sloterdijk dann seine Causerie und stellte danach im Gespräch mit dem Diplomaten und Kulturhistoriker Manfred Osten sein neues Buch "Du musst dein Leben ändern" vor. Unter dem Motto "Überforderung für alle" seien 3 000 Jahre Menschheitsgeschichte als "Trainingsexperiment" zu verstehen.

Hochkultur sei Produkt des Wunsches, sein Leben verbessern zu wollen, gleichgültig ob in Religion, Sport oder Kunst. Was zunächst nur der Elite vorbehalten war, wurde mit der Übertragung des Klostersystems auf Kinder, sprich als Schulsystem Gemeingut: ständiges Üben, um ein besserer Mensch zu werden.

Wobei der Staat es auf verwendungsfähige, die Schule aber auf "ganze" Menschen mit viel Idealismus abgesehen habe. Das heutige Schulsystem täte gut daran, so Sloterdijk, zu dieser übenden Praxis zurückzukehren: "Wir müssen in Form kommen für eine ganz andere Weltform", die von einem ökologisch-kosmopolitischen Imperativ geprägt sei. Mit dieser Aufforderung entließ der Philosoph dann seine Zuhörer in die Godesberger Nacht.

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