Poetischer Abend mit Robert und Clara

Der Dichter Hans Christian Andersen erfreute sich bereits zu Lebzeiten in Deutschland großer Beliebtheit und fühlte sich auch im Rheinland zu Hause - Eine Ausstellung im Bonner Stadtmuseum

  Hans Christian Andersen  war Dichter und ein begabter Künstler dazu. Das zeigt die Auswahl der Scherenschnitte, die im Stadtmuseum zu sehen sind.

Hans Christian Andersen war Dichter und ein begabter Künstler dazu. Das zeigt die Auswahl der Scherenschnitte, die im Stadtmuseum zu sehen sind.

Foto: Fischer

Bonn. Im September 1819 wanderte Hans Christian Andersen fast ohne Geld und - mit seinen 14 Jahren - noch gänzlich unerfahren in die große Stadt Kopenhagen ein.

Jahre später erinnerte er sich: "Es waren schwere, finstere Tage, meine Hilfsmittel waren vollständig erschöpft. Meine Stiefel waren entzwei; . . . für die kalte Jahreszeit fehlten mir Kleider."

Was er aber doch besaß, waren seine Träume vom Künstlerleben am Theater als Tänzer oder als Dichter; und weil schon der Jüngling von seinen Ideen so beseelt und so zielstrebig war und weil Förderer und Gönner seine Talente erkannten und ihm eine späte Schulausbildung finanzierten, avancierte Andersen zum - immer noch - meist gelesenen Dichter der Welt.

Seine Erfolge aber setzten nicht in der dänischen Heimat, sondern in Deutschland ein, wo damals gerade Volks- und Kunstmärchen unter dem Einfluss der Romantiker große Beliebtheit erlangt hatten.

Hier wurden Andersens Märchen zuerst in Heftchen, später in "richtigen" Büchern publiziert. In Leipzig erschien 1847 die erste Gesamtausgabe seines auch Romane umfassenden Werks.

Auch diese im Verlag Carl C. Lorck gedruckte Sammlung liegt derzeit in der vom Stadtmuseum Bonn eingerichteten Bücher- und Bilderschau aus, in der es um die Andersen-Rezeption in Deutschland geht.

Ihr Titel "Das Leben ist das schönste Märchen, denn darin kommen wir selber vor" stammt aus Andersens Lebenserinnerungen. Sein umfangreiches episches Werk nämlich hatte der fleißige Dichter um seine Autobiografie in drei Fassungen und um rund 4 500 - nachträglich veröffentlichte - Tagebuchseiten ergänzt.

All diese Notate werfen ein Licht auf den ungewöhnlich erlebnisfähigen Künstler, der einerseits den unscheinbaren Dingen des Alltags oder schlichten Naturerscheinungen wie einem einzelnen Lindenblatt Poesie abgewinnen konnte, der andererseits seine zahlreichen Auslandsreisen und, inzwischen selbst höchst populär, die Begegnungen mit der Prominenz seiner Epoche zu genießen wusste.

Im Mai 1843 etwa hatte er in St. Goar Ferdinand Freiligrath kennengelernt und bei Ernst Moritz Arndt in Bonn auch den Dichter Emanuel Geibel getroffen. Nicht ganz uneitel, so ist überliefert, rezitierte der Dichter aus seinen Büchern vor adeligem Publikum.

Seinen Besuch bei Robert und Clara Schumann beschrieb der auch musikbegabte Andersen als "hübschen, echt poetischen Abend". Diese Künstlerbegegnungen fügen sich im Stadtmuseum durch Bild- und Schriftdokumente zu einem kleinen Kapitel der Geistesgeschichte im 19. Jahrhundert.

Vor allem aber fallen die zahlreichen illustrierten Märchenbücher ins Auge. Bildete der kolorierte Kupferstich zur Erzählung "Das Feuerzeug" neben den schlichten Holzschnitten im 19. Jahrhundert noch eine Ausnahme, so drangen im 20. Jahrhundert lebhafte Farben in die Illustrationen zu Andersens Märchen ein.

Allerdings blieben die Bilder - abgesehen von Einflüssen des Jugendstils - über die Zeiten merkwürdig konservativ. In den 1960er und 70er Jahren dominierte ein süßlich betulicher Malstil, der zuweilen wenig zu den doppelbödigen Märchen passt. Erst unter den Andersens 200. Geburtstag würdigenden Jubiläumsausgaben dieses Jahres lassen sich neue ideenreiche Bildfindungen entdecken.

Breiten Raum gewährt die Ausstellung der Buchkünstlerin Sabine Friedrichson, die ausgewählte Passagen "Aus Andersens Lebensgeschichte, von ihm selbst erzählt" aus seinem Geist illustriert hat.

Wie der Dichter selbst bringt auch die Zeichnerin die Requisiten des Alltags zum Sprechen, setzt sie collageartig neben die Texte: "Wir sind zwei Brüder, ein rechter und ein linker Stiefel. - Ach, wieviel Nasses gibt es in dieser Welt zu durchschreiten! Wir waren ja nicht als Wasserstiefel geboren", klagt das offensichtlich durchnässte, verbeulte Stiefelpaar.

Mit ihren fantasiereichen Bildern begibt sich Sabine Friedrichson nicht zuletzt in Konkurrenz zu Andersen selbst, den man hier auch als Silhouetten-Schneider von Talent und Witz kennenlernt.

Stadtmuseum Bonn bis 8. Januar 2006; Do bis Sa 13-18, So 11.30-17, Mo 9.30-14 Uhr; besondere Zeiten an den Feiertagen.

Publikation: Sabine Friedrichson, "Das Leben ist das schönste Märchen, denn darin kommen wir selber vor", Verlag Beltz & Gelberg, 19,80 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort