Ausstellung im Arp Museum Rätselhafte Wesen

ROLANDSECK · Wenn Maler und Bildhauer dichten, passiert Erstaunliches. Das ist beim Hauspatron Hans Arp nicht anders als bei Bernard Schultze, die beide auf Zeit unter dem Dach des wunderbaren Arp Museums von Richard Meier ihren stillen Dialog als konspirative Geistesverwandte führen.

 Alien im Arp Museum: Bernard Schultzes "Flügeltier-Migof" aus dem Jahr 1974, ein Werk aus Draht, Textilien und Plastikmasse.

Alien im Arp Museum: Bernard Schultzes "Flügeltier-Migof" aus dem Jahr 1974, ein Werk aus Draht, Textilien und Plastikmasse.

Foto: Museum

Zwei Poeten der Form und des Wortes. "Nur an sumpfig-verschwiegenen/ Orten / können meine Lügen / ihren Durst löschen / Können die Hyazinthen / diese Glücksfigürchen / ihre Kleider abstreifen", heißt es im Mittelteil von Schultzes Gedicht "Zustand", in dem ansonsten Fuchsien, "diese Lampionkinder", verräterisch kichern und "in matter Würde" ein prophetischer Schmetterling vorbeiflattert.

Man kommt nicht umhin, in Schultzes ausladender, grenzenloser Bilderwelt, in seinen wild wuchernden Objekten mit Titeln wie "Insektenwelt", "Polternd-mimosenhaft", "Des Fleisches Lust" und "Ein Zustand Zauberischer Zerrissenheit" nach diesem bizarren Personal zu suchen.

Und man wird irgendwie fündig in der Rolandsecker Ausstellung, in abstrakten Bildern, die mit ihren zerklüfteten Formen, den Fantasymäßig gestaffelten Räumen und Landschaften und dem raffinierten Spiel von Licht und Dunkel unzählige Assoziationen erlauben. Hier öffnen sich vermeintlich Höllenschlünde, dort brodelt die Ursuppe, woanders scheinen sich Fabelwesen in die Lüfte zu erheben, wachsen vorzeitliche Schlingpflanzen vor sich hin.

Das Arp Museum klinkt sich mit der Ausstellung "Ein heller Hauch, ein funkelnder Wind" - ein Zitat aus Bruno Schulz' Erzählung "Die Zimtläden", die Schultze sehr geliebt hat - in den Geburtstagsreigen für den vor hundert Jahren in Posen geborenen Maler und Bildhauer ein, der 2005 in Köln gestorben ist.

Schon eröffnet wurden die Schultze-Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast, die den Blick des Sammlers Kemp auf den Künstler dokumentiert, und die Schau im Kölner Museum Ludwig, die den Bogen von den ganz frühen, noch gar nicht als Schultze-Arbeiten identifizierbaren Blättern zu den üppigen Großformaten der 1980er und 90er schlägt.

Kuratorin Jutta Mattern geht mit ihrer für Rolandseck konzipierten, ausgezeichneten, das gesamte Oeuve beleuchtenden Schau einen anderen Weg: Sie verfolgt die Entwicklung von der Zeichnung und dem zweidimensionalen Bild hin zum dreidimensionalen Objekt, das sich im Raum behauptet.

Wer Schultzes frühe Blätter und Gemälde der 50er Jahre sieht, ahnt, dass dieser Prozess unausweichlich ist. Denn die dem Prinzip des Zufalls, der Intuition des Unbewussten folgenden Zeichnungen und willkürlich gesetzten Farbkleckse bilden ein organisches Gewebe, das nicht nur in die Fläche wuchert, sondern auch ein beträchtliches Volumen erreichen kann.

Die Ausstellung zeigt, wie Schultze noch in den späten 50er Jahren beginnt, allerlei Materialien, Stoffreste, Pflanzen, Holzstückchen, Sand und Steine auf die grundierte Leinwand zu legen und das Ganze dann zu übermalen. Die Zufallsstrukturen reizen den Maler zur künstlerischen Interpretation.

Und wo sich noch ein unbearbeitetes Eckchen findet, setzt Schultze fein verästelte grafische Gespinste ein. Es war nur eine Frage der Zeit, dass aus dem Bild ein Relief wurde und aus dem Relief eigenständige Objekte wuchsen, die sich von der Wand emanzipierten.

Schultze erfand für seine bizarren Wesen, die halb Insekt, halb Pflanze sind, durchaus auch etwas Kreatürlich-Menschliches haben und in jedem Alien- oder Star-Wars-Film einen umjubelten Auftritt bekämen, den Namen "Migof". Kuratorin Mattern räumt diesen Wesen größtmöglichen Raum ein, spielt virtuos mit den Möglichkeiten, die Meiers lichte Architektur bietet und bildet wunderbare Blickachsen vom Objekt zum Bild.

Spektakuläre Werke sind zu sehen, darunter "Moonen", eine achtteilige Gruppe von bunten Migofs aus Draht, Stoff und Plastikmasse, die seit ihrer ersten Ausstellung 1961 in der Kunsthalle Baden-Baden im Depot lagerte und nicht mehr gezeigt wurde.

Diese Arbeit, die Schultze sein erstes Environment nannte, demonstriert eindringlich den Prozess vom grafisch geprägten Bild über die Malerei zum frei stehenden Objekt. Und sie lässt erkennen, wie sehr sich Schultze vom spontanen Sandkastenspiel der Kinder und der unbewussten, "automatischen" Formfindung der Surrealisten inspirieren ließ. "Erregung und Kontrolle" hat Anne Duden ihren Beitrag im ausgezeichneten Katalog genannt: Das sind die beiden Pole, zwischen denen Schultzes Werk oszilliert.

Dass irgendwann das Plastische aus diesem Werk wich und einer großflächigen Malerei, einer an barocker und spätmittelalterlichen Kunst orientierten Opulenz Platz machte, gehört zu den Überraschungen in diesem Werk. Die Rolandsecker Schau bietet auch aus diesem koloristischen Spätwerk herausragende Bilder. Ein Höhepunkt der Schultze-Trilogie.

Info

Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen; bis 1. Mai 2016. Di-So 11-18 Uhr. Katalog (Hirmer) 29 Euro. Eröffnung: 18. Juni, 19 Uhr

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