Premiere in der Werkstatt Rebellisch gegen den Trend

Bonn · Brillante Lydia Säubli spielt drei Episoden aus Ingrid Lausunds „Bin nebenan“ in der Werkstatt des Bonner Schauspiels.

 Entspannung im Gold-Bälle-Bad: Lydia Stäubli wird gleich eine böse Überraschung erleben.

Entspannung im Gold-Bälle-Bad: Lydia Stäubli wird gleich eine böse Überraschung erleben.

Foto: Beu/THILO BEU

„Lifestyle-Rebellin“ – das ist nur eins der schönen Produkte aus der an Bonmots reichen Werkstatt der Theaterautorin und Regisseurin Ingrid Lausund (Jahrgang 1965), einer der meistgespielten deutschen Gegenwartsdramatikerinnen. 2002 war in der Halle Beuel schon ihr Supermarkt-Stück „Hysterikon“ zu erleben.

Nun haben die Dramaturgin Male Günther und die Regieassistentin Bea Banca, die damit ihre erste eigene Inszenierung präsentiert, drei Episoden aus Lausunds „Bin nebenan. Monologe für zuhause“ ausgewählt. Als Buch erschienen sind die insgesamt zwölf kurzen Einblicke in die Seelenräume der selbstreflexiven Work-Life-Balance-Generation bereits 2008, also lange vor der Pandemie. Dass sie gerade jetzt, wo der Rückzug in die eigenen vier Wände den Selbstverwirklichungstrend vor neue Herausforderungen stellte, auf etlichen deutschen Bühnen auftauchen, ist kein Wunder. Wunderbar vielschichtig spielt Lydia Stäubli, seit 2013 Ensemblemitglied am Theater Bonn, in der Werkstatt die drei Solominiaturen zwischen Comedy und leicht makabrer Schlusspointe.

Ein Sofa namens Horst

Mit modischem Haarschnitt erscheint sie im schicken grauen Kurzmantel zu klobigen Stiefeln schwer bepackt mit Einkaufstüten und einer vergoldeten Topfpflanze in einem weltweit agierenden skandinavischen Möbelhaus. Das Linda-Sofa würde perfekt in ihre Wohnung passen und ist beinahe schon gekauft. Doch wie wär’s mit dem geschmacklosen roten Horst-Plüschsofa, mit dem man mal seine Individualität mutig beweisen könnte? Rebellisch gegen den Trend! Leider ist genau das voll im Trend. Linda, gehobener Lebensstandard, intelligent und eigenwillig, ist Durchschnitt. Egal was sie sagt und tut: Die Algorithmen der Marktstrategen wissen es besser.

Auf die kabarettreife Nummer folgt die Tiefenentspannung im Bad. Freistehende Wanne mit vergoldeten Rokokofüßen, gefüllt mit goldenen Bällchen. Das feine italienische Ambiente wird nur mit Worten kenntlich (mein Zahnputzbecher im Glasmosaikstil, der michelange­loblaue Deckenanstrich), ebenso wie die teuren Duftkompositionen, beispielsweise „Body-Celebration“. Bühnenbildassistentin Annika Garling hat die beiden Zimmer mit den weißen Vorhängen aus der „Glasmenagerie“ recycelt und auch die Kostüme entworfen.

Kleine erotische Fantasien

Im schicken roten Badeanzug hockt die Schauspielerin – „Ich bin ganz bei mir“ – im imaginierten Schaumbad. Ein bisschen Yoga noch, schwerer Ylang-Ylang-Wohlgeruch, kleine erotische Fantasien. Vielleicht ein schöner afrikanischer Märchenprinz, möglicherweise auch tauglich als Ebenholz-Handtuchhalter? Doch plötzlich bevölkern sie das kleine Badezimmer: arme, halbverhungerte dunkelhäutige Menschen, die kein Trinkwasser haben und übers Meer nach Europa fliehen. Die Wanne wird zum gefährlichen Gewässer, in dessen Sturzwellen die weiße Frau um ihr Leben schwimmt. Glücklicherweise war alles nur ein kurzer Albtraum, sie wird aber gleich morgen eine Spende für Afrika überweisen.

Mit einem Schuss Sarkasmus

Am Ende liegt sie im schwarzen Trauerkleid mit einem Reisekoffer leicht verrenkt draußen auf dem Boden. War es ein Unfall, wie die Umrisszeichnung andeutet? „Grundstück“ heißt die finale Szene, in der sie Momente ihres Lebens an sich vorbeiziehen lässt. Nirgendwo zu Hause, Angst vor festen Beziehungen, stets irgendwo „nebenan“. Selbst das mit der letzten Ruhe in der Bretagne hat nicht geklappt. Der romantische kleine Friedhof am Meer war längst ausverkauft. Wie neben sich beobachtet sie ihre eigene Beisetzung irgendwo in der deutschen Provinz. Unsentimental mit einem Schuss Sarkasmus wie die ganze rund einstündige, sehr unterhaltsame Monologtrilogie. Deren böser Witz wird getragen von der fabelhaften Lydia Stäubli. Gemeinsam mit der jungen Regisseurin Bea Banca und dem ganzen Aufführungsteam durfte sie sich bei der Premiere am Samstag freuen über den mit munteren Jauchzern durchsetzten herzlichen Beifall.

Nächste Vorstellungen am 14. und 23. Oktober um 20 Uhr. Tickets u.a. bei allen Vorverkaufsstellen des GA.

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