Festspielfrühling Rügen Reif für die Insel

BONN · Der stürmische Wind und die dräuenden Regenwolken konnten die Besucher des "Festspielfrühlings Rügen" nicht davon abhalten, die letzten zwei Kilometer zur Kapelle des kleinen Fischerdörfchens Vitt bei Kap Arkona zu Fuß zurückzulegen, um den begnadeten Violaspieler Nils Mönkemeyer mit Bachs Suite Nr. 1 in G-Dur zu hören.

 Kühne Idee: Das Fauré Quartett ist für die künstlerische Leitung verantwortlich.

Kühne Idee: Das Fauré Quartett ist für die künstlerische Leitung verantwortlich.

Foto: Jan Northhoff

Der heulende, an den Fenstern rüttelnde Wind war auch ständiger Begleiter bei der dann folgenden Bratschen-Sonate von Schostakowitsch, mit Anatol Ugorski am Klavier. Was für ein fast schon überirdisches Erlebnis, diesem schwermütigen Schwanengesang an einem solchen Ort zu lauschen!

Rügen ist reich an solch versteckt liegenden Lokalitäten, die von den Musikern entdeckt worden sind und nun Zuhörer aus ganz Deutschland auf die legendäre Ostseeinsel locken, nunmehr schon zum dritten Mal. Es war eine kühne Idee des Fauré Quartetts, die künstlerische Leitung für ein Kammermusikfestival an ungewöhnlichen Lokalitäten in der wenig belebten Vorsaison zu übernehmen. Aber die auf die Insel verpflichteten, hochkarätigen Künstler sorgen für ausverkaufte Konzerte. Das Publikum liebt freilich auch die "Zugaben", Empfänge nach den Aufführungen. Bei Sekt und Schnittchen kommt man schnell ins Gespräch, auch mit den Musikern, die, wenn ihnen die Laune danach ist, noch allerlei Musikstücke zum Besten geben. So entsteht schnell ein fast familiäres Gefühl von Vertrautheit und Dazugehörigkeit.

Der musikalische Fokus war in diesem Jahr auf Russland gerichtet, russischer Klang und russische Seele sollten erkundet werden, in ihrer erstaunlichen Vielfalt zwischen Glinka und Pussy Riot. Kann man sich einen besseren Botschafter russischer Seele vorstellen, als den 1943 in Leningrad geborenen Pianisten Anatol Ugorski?

Sein Konzert in der Kapelle des Gutshauses in Boldevitz hat zwei Extreme russischen Wesens erkundet: Das übermütig-groteske, quirlig-lustige Jahrmarktsgeschehen in Strawinskis "Pétrouchka" stand neben Skrjabins rauschhaftem "Vers la Flamme" und anderen hochemotionalen Werken dieses Klangzauberers, und beiden Komponisten wurde Ugorski mit stupend virtuoser Tastenakrobatik gerecht. Danach lud der Gutsherr zu echtem Krimsekt ein, was, wie er betonte, nicht als Anspielung auf die politische Situation gemeint war.

Wie locker und verspielt das russische Wesen auch daherkommen kann, bewies das Fauré Quartett mit seiner "FQ Lounge" und einem Überraschungsprogramm der allerfeinsten Art, das auch von Natalia Prishepenko, der einstigen Primaria des Artemis Quartetts, Viviane Hagner und anderen mitgestaltet wurde.

Das Theater und der Marstall in dem schönen Städtchen Putbus bieten Spielstätten, die durch ihre Architektur und das liebevoll restaurierte Interieur bezaubern. Das Publikum wurde gebeten, unter vier vorgestellten Stücken von Medtner, Juon, Glasunow und Tanejew den "russischen Brahms" per Abstimmung herauszufinden - die Wahl fiel auf Nikolai Medtner, dessen Klavierquintett begeistern konnte.

Der Auftritt der Tänzer der Musikhochschule Frankfurt am Main mit "Russian Roulette" stellte ein ganz anderes Russland vor, nicht nur wurde, wie es im Programmheft hieß, "gleichgeschlechtliche Flagge gezeigt", sondern auch eine fetzige Choreografie von "Pussy Riot", eine ungemein temperamentvolle Performance zu Punk- Musik!

Natürlich wurde Tschaikowski, dem beliebtesten russischen Komponisten, ein ganzer Abend gewidmet. Im Mittelpunkt stand sein Briefwechsel mit der "unsichtbaren Geliebten" Nadeschda von Meck, die ihn verehrte und liebte und großzügig mit Geld unterstützte. Gerd Wameling las aus Briefen Tschaikowskis, und Anna Thalbach übernahm die Rolle der Nadeschda von Meck, was sie mit dem ihr eigenen, unwiderstehlichen Charme machte. Auf Tschaikowskis Wunsch aber sind sich die beiden, obwohl sie manchmal an ein und demselben Ort waren, nie begegnet. Das ist schwer verständlich, wenn man nicht weiß, dass Tschaikowski homosexuell und wegen dieser Neigung menschenscheu geworden war.

Das aber wurde vom Moderator Hanjo Kesting mit keinem Wort erwähnt. Die musikalische Umrahmung war, wie könnte das beim Fauré Quartett anders sein, hinreißend: Das ?FQ and Friends' spielte aus Tschaikowskis elegischem Klaviertrio und das schwungvoll-vitale Streichsextett "Souvenir de Florence."

Der nächsten Festspielfrühling findet vom 13. bis 22. März 2015 statt. Thema: "Musikstadt Wien". Kartentelefon: (0385)5918585, E-Mail: kartenservice@festspiele-mv.de. Der Vorverkauf beginnt bereits im August.

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