Renaissance der Muskelmänner

Die Kopien-Sammlung der Königin Christina von Schweden belegt, wie sich die Barockzeit an der Antike orientierte - das Rheinische Landesmuseum in Bonn zeigt kaum bekannte Blätter

  Diese Rötelzeichnug  von Amor und den drei Dienerinnen, das Blatt eines unbekannten Künstlers, entstand nach Raffaels Fresko in der Loggia di Psiche in der römischen Villa Farnesina.

Diese Rötelzeichnug von Amor und den drei Dienerinnen, das Blatt eines unbekannten Künstlers, entstand nach Raffaels Fresko in der Loggia di Psiche in der römischen Villa Farnesina.

Foto: Fischer

Bonn. Kopien von Kunstwerken, das heißt Nachbildungen durch fremde Hände, erfuhren über die Zeiten wechselnde Wertschätzung.

Während in jüngerer Vergangenheit Kopien eher der Mangel an Originalität angelastet wird, wenn nicht sogar von Fälschungen die Rede ist, wurden sie bereits in der Antike und erneut seit der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert hinein gewürdigt: zur handwerklichen Schulung, aber auch als autonome Kunstwerke.

Berühmte Beispiele sind die römischen Marmorkopien, denen die Nachwelt die Kenntnis verlorener griechischer Staturen verdankt.

Im Kopiewesen der Neuzeit wird auch dem Medium der Zeichnung Anerkennung gezollt, und zwar insbesondere, nachdem Giorgio Vasari, selbst Künstler und Theoretiker, der Zeichnung, dem "disegno", den gleichen Rang wie den anderen Kunstgattungen zugestand.

Wie gültig diese Gleichstellung ist, beweist die Bonner Ausstellung "Zeichenkunst des Barock aus der Sammlung der Königin Christina von Schweden" auf hohem Niveau.

Zusammengetragen hatte die Königin ihr beachtliches Konvolut, nachdem sie abgedankte hatte und seit 1655 in Rom ihren intellektuellen und künstlerischen Neigungen nachging.

Sehr viele Zeichnungen könnten aus der von ihr gegründeten "Accademia del Disegno" stammen; andere wird sie von unabhängig wirkenden Kopisten erworben haben.

Mehrfach wechselte die im doppelten Wortsinn königliche Sammlung den Besitzer, ehe sie 1713/14 zu weiten Teilen an die Stadt Leipzig verkauft wurde. Hier aber bekam kaum jemand sie zu Gesicht.

Die Kooperation des Museums der bildenden Künste Leipzig mit dem Rheinischen Landesmuseum gleicht also der Hebung eines verborgenen Schatzes. Nur zwei der 49 Blätter lassen sich einem Künstlernamen zuordnen, und zwar dem berühmten Gianlorenzo Bernini, Freund der Königin und Star des römischen Barock.

Er hat in wunderbarem Sfumato das "Bildnis des zwölfjährigen Baldassare Aloisi" nach Annibale Caracci gezeichnet, der nun seinerseits vielen anonymen Künstlern Vorlagen geliefert hat.

Von Bernini stammt auch eine Studie nach dem "Laokoon", Beispiel einer individuellen Adaption, die über die einfache Kopie hinausgeht, und Beleg für die Vorbildlichkeit der Antike.

Die Muskulatur des 1506 aufgefundenen Laokoon und des vielfach bewunderten "Torso vom Belvedere" hat schon die Künstler der Spätrenaissance zur Darstellung kraftvoller Männerkörper angeregt.

Drei Zeichnungen nach Raffael zum "Bau der Arche" sowie das Blatt "Venus und Triton" nach Agostino Caracci reflektieren deutlich die Auseinandersetzung mit diesen Marmorwerken, rangierte damals doch das Studium der Antike vor dem der Natur.

Darin mag auch begründet liegen, das Kopien der Fresken im Palazzo Farnese in Rom nach Annibale Caracci Werken der Bildhauerkunst gleichen. Während die Künstler sich sonst zwischen Rötel oder schwarzer Kreide entschieden, hat dieser Zeichner mit beiden Stiften auf ein und demselben Bildgrund experimentiert.

Weißhöhungen über schwarzen Zeichnungen steigern die Plastizität der Gestalten. Ihre Virtuosität stellen die Kopisten auch unter Beweis, indem sie ganz verschiedene Ansichten der Körper - stehend, sitzend, kauernd, liegend, und dies wiederum frontal, seitlich rückwärts - in ihr Medium übertrugen und durch Verkürzungen der Gliedmaßen - wie im Bild "Paris und Merkur" - selbst Gestalten im Fluge wiederzugeben verstanden. Mühelos wecken sie die Illusion in den Himmel schwebender Heiliger.

Der Zeichner einer "Himmelfahrt Mariä" nach Domenichino allerdings hat sein Blatt durch die Marginalie eines flott dahin geworfenen Kopfes mit Turban "entweiht".

Die Bildfolge nach Nicolas Poussin, der lange in Rom wirkte, möchte man einem Künstler mit individuellem Stil zuschreiben, der sich durch gekonnt gesetzte Weißhöhungen über schwarzer Kreide auf blauem Papier und durch die geradezu fassbare Stofflichkeit der Gewandraperien auszeichnet.

Das Rheinische Landesmusem lädt sein Publikum ein, sich mit den Künstlern zu messen. Stifte und Papiere liegen in einem Studiolo bereit.

Wer ihre Meisterschaft jetzt noch nicht erreicht, kann seine Übungen wieder aufnehmen, wenn der mit dieser noblen Ausstellung begonnene Zyklus "Zeichenkunst" fortgesetzt wird.

Rheinisches Landesmuseum Bonn; bis 11. Juni. Di-So 11-18, Mi 10-21 Uhr. Katalog 19,95 Euro

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