phil.Cologne Richard David Precht stellt sein neues Buch zur Debatte
Köln · Der Philosoph David Precht schafft in seinem neuen Buch "Jäger, Hirten, Kritiker" eine Utopie für die digitale Gesellschaft. Er zeichnet ein düsteres Bild der Welt und plädiert gegen die Schockstarre unserer Gesellschaft.
Captain Picard träumt in „Star Trek VIII“ vom 24. Jahrhundert als einer Welt ohne Erwerbsarbeit: „Wir arbeiten, um uns selbst zu verbessern – und den Rest der Menschheit.“ Für den Philosophen Richard David Precht dauert es bis zur Umwertung der Arbeit allerdings keine 300 Jahre mehr. Und deshalb entwirft er im aktuellen Buch „Jäger, Hirten, Kritiker“ schon jetzt „Eine Utopie für die digitale Gesellschaft“.
Zuvor zeichnet er das finstere Gegenbild, eine Dystopie der Welt anno 2040: Mark Zuckerberg ist US-Präsident und die ungezügelte Digitalwelt ein langweiliges, aber obszön profitables Surrogat des Lebens. Für Precht steht fest, dass die vierte industrielle Revolution die tief greifendste sein wird. Und er plädiert genauso entschieden gegen Schockstarre wie unbedarfte Trittbrettfahrerei à la FDP-Bundestagswahlplakat („Digitalisierung first, Bedenken second“).
„Wenn Digitalisierung alles ändert – wer ändert die Digitalisierung?“, fragt der Autor (Jahrgang 1964). Wohl kaum die Superhirne des Silicon Valley, die schon jetzt Individuen in Millionen Daten zerhacken und die so gewonnenen Profile an profithungrige Firmen verhökern. Also müsse „die in rasendem Stillstand gelähmte Politik“ die Digitalisierung als Gestaltungschance be- und ergreifen. Dass man Jobverluste durch immer smartere Roboter, Drohnen und Programme stoppen könne, glaubt der Vordenker nicht. Eher empfiehlt er, die Vision von Marx und Engels, dass der vom Erwerbsjoch befreite Mensch nach Belieben Jäger, Fischer, Hirte oder Kritiker werden könne, unter die Lupe der Zeitenwende zu legen.
Der Philosoph holt sich fachkundige Hilfe, zitiert ökonomische Studien, die hoch entwickelten Ländern einen Arbeitsplatzschwund von 47 Prozent vorhersagen. Also Hartz IV für jeden zweiten Bundesbürger? Nein, Precht plädiert für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) von mindestens 1500 Euro pro Monat. Dies sei finanzierbar, da Computer und Roboter weder Rente, Urlaubs- Mütter- oder Krankengeld beziehen. Indes zahlen sie auch keine Steuern, sodass die Besteuerung von Geldflüssen vorgeschlagen wird. In der Schweiz würde eine Finanztransaktionssteuer von 0,05 Prozent sogar ein bedingungsloses Grundeinkommen von 2500 Franken decken.
Dass sein phil.Cologne-Gesprächspartner Christoph Butterwegge die Befürworter des BGE für „sektenhaft“ hält, kritisiert Precht im Buch – live kann sich sein Widerpart dann allerdings wehren. Tatsächlich wirft die detaillierte Ausgestaltung des Modells etliche Fragen auf, die nicht unbedingt in die philosophische Kernkompetenz fallen. Wobei der Autor durchaus über den Tellerrand schaut und etwa die Geschichte der Arbeit plastisch zusammenfasst.
Und seine geschliffen formulierte Streitschrift denkt ihre eigenen Annahmen weiter: Was folgt daraus, wenn Broterwerb als gewohntes Selbstwert-Barometer schrumpft oder für viele wegfällt? Will man die mit Frei-Zeit verwöhnten Bürger nicht an den „Palo-Alto-Kapitalismus“ und dessen virtuelle Themenparks verlieren, müsse eine neue Bildung den Individuen zu tieferer Selbstverwirklichung verhelfen.
Eben nicht als User und Konsumenten: „Der Mensch als freier Gestalter seines Lebens – diese Vision steht im Zentrum der humanen digitalen Utopie.“ Und über die lohnt es sich zu streiten.
Richard David Precht: Jäger, Hirten, Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft, Goldmann, 284 S., 20 Euro. Die phil.Cologne-Veranstaltung in Köln mit Precht und Christoph Butterwegge am 7. Juni ist ausverkauft.