Premiere in der Bonner Oper Romeo und Julia auf Schottisch

Ein Gothic-Melodram: Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ in der Bonner Oper. David Aldens Inszenierung siedelt das Geschehen im viktorianischen Schottland des 19. Jahrhunderts an. Das ist spannend.

 Sie wirkt zart und zerbrechlich, hat bewegende Piano-Momente: Julia Novikova als Lucia.

Sie wirkt zart und zerbrechlich, hat bewegende Piano-Momente: Julia Novikova als Lucia.

Foto: Thilo Beu

Die Wände sind verblasst, die Fenster morsch, Risse ziehen sich durchs Gemäuer: Die von Charles Edwards gestaltete Bühne, auf der das traurige Leben der jungen Lucia ein ebenso trauriges Ende findet, kündet von nichts anderem als von Verfall – eine bröckelnde Welt. Mitunter erscheint es so, als habe der amerikanische Regisseur David Alden hier nicht Gaetano Donizettis Oper „Lucia di Lammermoor“ inszeniert, sondern sich an einer Bühnenversion von Edar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“ versucht. Wie auch immer: Oper als Gothic-Melodram zu verstehen, entpuppt sich als durchaus spannendes Unternehmen.

Diese „Lucia“, die jetzt in der Bonner Oper Premiere hatte, ist keine spezielle Bonner Produktion, sie kam bereits vor acht Jahren an der English National Opera in London auf die Bühne und wanderte danach nach Toronto. Im Bonner Programmheft gibt es einen besonderen Erklärungshinweis: Das Ganze soll in einer Nervenheilanstalt des 19. Jahrhunderts spielen, wo sich Kranke für ein gruselwilliges Publikum an einer Aufführung versuchen. Das zumindest würde die in eine Bühnenwand eingeschnittene kleine Privatbühne erklären, auf der sich der blutige Teil des Dramas abspielt.

Ansonsten bleibt die Verortung für die Inszenierung von David Alden ziemlich unwichtig. Donizettis Oper – ein bisschen Romeo und Julia auf Schottisch – erzählt von der Fehde zweier schottischer Familien und von der unglückseligen Lucia, die ihren Edgardo liebt, aber vom Bruder Enrico in eine die verarmte Familie sanierende Ehe mit Arturo gezwungen wird.

Lucia ermordet den Ehemann in der Hochzeitsnacht, schreitet in den Wahnsinn und in den Tod. Auch Edgardo nimmt sich das Leben – auf der Bonner Bühne kommt’s zum Overkill, da wird ihm von Enrico auch noch das Genick umgedreht. Das alles spielt sich zu betörend schöner italienischer Musik ab, die in der berühmten Wahnsinnsszene gipfelt, einer Herausforderung für Sopranistinnen seit jeher.

David Aldens Inszenierung siedelt das Geschehen im viktorianischen Schottland des 19. Jahrhunderts an, in einer auch im Sinne des Wortes zugeknöpften Zeit (Kostüme Brigitte Reiffenstuel). Er macht „Lucia“ zu einem Stück dunkelster Romantik, das verborgenen und verbotenen Sehnsüchten nachgeht. Seine Lucia ist von Anfang an eine Traumatisierte, eine Mädchen-Frau, die sich wie eine Puppe bewegt. Auch der Bruder scheint der Kindheit nicht entwachsen zu wollen, kramt im Spielzeug. In einer verstörenden Szene tastet er seine Schwester ab, fesselt sie ans Bett, greift ihr unter den Rock – dieses Psychodrama enthält zweifellos auch eine inzestuöse Komponente.

Nicht alles gelingt Alden in dieser Inszenierung zwingend und schlüssig, manches bleibt verrätselt, manches wie die permanente Fortbewegung auf den Knien mutet an wie Bewegungstherapie um jeden Preis (und ließe sich allenfalls mit dem angegebenen Spielort Nervenheilanstalt recht und schlecht erklären). Gleichwohl ist dies eine sehr diskussionswürdige „Lucia“, eine zutiefst dunkle Familiengeschichte um emotional geschädigte Geschwister.

Dirigent Jacques Lacombe und das Beethoven Orchester scheinen ganz den Spuren des Regisseurs zu folgen. Lacombe betont die dramatische Seite der Partitur sehr exzessiv, mit höchst zügiger Tempogestaltung und harschen Akzenten – als sei’s ein Stück von Verdi. Das klingt mitunter etwas ungehobelt und unterschlägt, dass unbedingt auch Süße und Sinnlichkeit aus der Musik zu ziehen sind. In der Wahnsinnsszene immerhin klingt etwas von dieser unheimlichen Schönheit an. Das liegt freilich vorzugsweise an der in der Rolle der Lucia debütierenden Julia Novikova: Sie wirkt zart und zerbrechlich, hat bewegende Piano-Momente und beseelt mit zunehmender Spieldauer ihre Koloraturen aufs Schönste. Technisch liegt bei ihr ohnehin alles in bester Kehle.

Die Männergesellschaft um Novikovas Lucia herum kann sich hören lassen. Felipe Rojas Velozo, der als Edgardo mit Kilt und Lederjacke gleichsam als letzter Highlander in die viktorianische Gesellschaft stürmt, verfügt bei manchmal etwas unausgeglichenen Linien über klare Spitzen. Giorgos Kanaris gibt dem zwiespältigen Enrico bewundernswerte baritonale Intensität, Martin Tzonev hat einen souverän geführten Bass für den Gottesmann Raimondo. Dazu kommen in kleineren, klug ausgefüllten Partien Christian Georg, Susanne Blattert und Johannes Mertes. Brillant und klangprächtig wie immer der Chor der Bonner Oper in der Einstudierung von Marco Medved.

Die nächsten Aufführungen: 2., 10. und 18. November. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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