Beethovenfest Rudolf Buchbinder brillierte am Klavier
Bonn · Im Regal seines Wiener Hauses reihen sich 32 verschiedene Ausgaben von Beethovens 32 Klaviersonaten dicht aneinander. Rudolf Buchbinder beschäftigt sich seit vielen Jahrzehnten gern und mit nicht nachlassender Intensität mit dem Klavierwerk des Komponisten.
Ihn als Interpreten auf Beethoven zu reduzieren, wäre dennoch ein bisschen unfair. Das zeigte nicht nur die Aufführung des Klavierkonzertes von Krzysztof Penderecki beim Beethovenfest am Mittwoch, sondern auch der erste Teil seines Klavierabends am folgenden Abend in der recht gut besuchten Beethovenhalle. Da spielte der Pianist die vier Impromptus op. 90 von Franz Schubert.
"Wer diese Musik technisch bewältigt, was auch schon keine leichte Sache ist, kann sie noch lange nicht spielen", sagte sein Pianistenkollege András Schiff einmal. Wenn man Buchbinders Klavierspiel lauscht, weiß man, wie das gemeint ist. Der Pianist begreift die einzelnen Stücke durchaus als inhaltlich zusammengehöriges zyklisches Werk, wobei das rhythmische Grundmotiv des eröffnenden c-Moll-Werks nicht ganz zufällig bereits an den Beginn der "Winterreise" erinnert. Von hier aus machte sich Buchbinder also mit Schubert auf eine Reise durch eine poetische Klangwelt, die expressive dramatische Ausbrüche aber nicht ausschließt.
Der Mittelteil des Es-Dur-Impromtus etwa bot einen beinahe grimmigen Kontrast zur chopinhaften Eleganz des ihn umrahmenden Passagenwerkes. Die Begleitung zum liedhaften Ges-Dur-Impromptus tauchte Buchbinder in samtig schimmernden Glanz, und die gebrochenen Akkorde des As-Dur-Finalstückes funkelten wie der Flügelschlag eines Kolibris.
Im zweiten Konzertteil spielte er dann Beethoven, keine Sonate, sondern die Diabelli-Variationen. Dass die wertvolle Handschrift des neben Bachs Goldberg-Variationen wohl bedeutendsten Klaviervariationen-Zyklus der Musikgeschichte heute im Besitz des Bonner Beethoven-Hauses ist, dazu hat neben vielen anderen Musikern auch Buchbinder mit einem Benefizkonzert beigetragen.
Es ist schon großartig, wie er die 33 Veränderungen über Diabellis Walzer gleichsam in einen Bogen sinfonischen Ausmaßes zwingt. Buchbinders Interpretation ist weniger detailverliebt, als es etwa die Darstellungen Alfred Brendels erkennen lassen. Er führt den ungemein kraftvoll ausgespielten Vivace-Impuls des Themas in den Akkordschlägen der ersten Variation ungebremst weiter, der erhöhte Pulsschlag wirkt auch noch in die ruhiger werdenden Variationen Nr. 2 bis 4 hinein.
Buchbinder gibt sich nicht als der abgeklärte Intellektuelle, sondern als Stürmer und Dränger, und die Kompromisslosigkeit, die er dabei an den Tag legt, macht seine Diabelli-Variationen so aufregend. Das funktioniert freilich nur, wenn man über eine fabelhafte Technik verfügt wie Buchbinder, dem lockere Läufe ebenso gelingen wie die markigen Akzente etwa der resoluten neunten Variation. Er zeigt emotionale Abgründe auf wie in der Nummer 14 und lässt immer wieder auch Beethovens Humor aufleuchten, am deutlichsten in der Nummer 22. Dort zitiert Beethoven die Auftrittsarie des Leporello aus Mozarts "Don Giovanni", der sich Tag und Nacht für seinen Herrn placken muss - ein augenzwinkernder Hinweis auf das Verhältnis von Komponist und Interpret in diesem alles fordernden Variationen-Zyklus.
Nach der großartig gespielten Fuge, deren Aufgeregtheit Buchbinder in der letzten, menuettartigen Variation fast zärtlich auffing, nahm er den Applaus und die Bravorufe des Publikums entgegen und bedankte sich mit zwei Zugaben aus dem Kosmos der 32 Beethoven-Sonaten, die er - ein sympathischer Zug - vorher ankündigte: die Finalsätze aus der "Pathétique" und der "Sturm-Sonate".