Sofort hellwach Sänger Boy George im Interview

BONN · Boy George ist zurück: Im Dezember gastiert der Sänger mit seiner Kultgruppe Culture Club in Köln. Das Album "Life" ist das erste neue Album der legendär zerstrittenen englischen Kultband seit 19 Jahren.

 Boy George mit Band

Boy George mit Band

Foto: Rankin

GA: Boy George, guten Morgen nach LA. Was tun Sie dort?

Boy George: Vorhin hatte ich einen Haarschnitt, ansonsten baumele ich so rum. Heute ist ein freier Tag während der Tournee. Und nichts zu tun, das ist etwas, was ich sehr gern tue. Heute Nachmittag gehe ich zur Kryotherapie, also Kältetherapie. Ich habe das schon ein paar Mal gemacht, und ich mag es echt gern.

GA: Ist das nicht zu eisig?

George: Mir nicht. Ich dusche auch jeden Morgen kalt. Das hält die Haut frisch. Mein Schönheitstipp Nummer Eins. Außerdem bist du sofort hellwach.

GA: Wie viel Spaß macht die Tour?

George: Wir bekommen jeden Abend sehr viel Liebe vom Publikum. Die Leute sind absolut nicht feindselig, sondern liebevoll, sie nehmen uns mit ihrer Anwesenheit in den Arm. Das tut uns gut. Ich genieße die Konzerte heute viel mehr aus früher.

GA: Warum das?

George: Wenn ich ehrlich bin, genieße ich heute alles mehr als früher. Alles in meinem Leben ist besser geworden, mir geht es gut. Gerade in diesen eher kalten und bösen Zeiten ist es mir wichtig, so viel Liebe und Positivität wie nur möglich zu verbreiten.

GA: Bekommen Sie mit, wie entzweit die Amerikaner sind?

George: Ja, ich bin ein sensibler Kerl, das kommt alles bei mir an. Die Leute sind irgendwie geschockt, verschreckt, verzweifelt und auch wütend. In den USA musst du inzwischen bestimmte Themen in den Shows ausklammern, denn wenn du sie ansprichst, geht gleich wieder das Geschrei los. Ich bin Brite, ich will nicht noch zusätzlich den Krach anfachen in einem Land, in dem ich Gast bin. Ich möchte lieber die Liebes-Frequenz erhöhen, auch wenn das jetzt nach Hippie klingt. Die Botschaft von Culture Club ist momentan bedeutsamer als je zuvor.

GA: Was ist die Botschaft?

George: Gemeinsamkeit. Zusammenhalt. Individualität. Jeder so, wie er mag.

GA: Sind Sie eine spirituelle Person?

George: Ich hoffe schon. Ich bin praktizierender Buddhist, ich habe die Religion schon in den Achtzigern in London für mich entdeckt. Sie hat mich nie ganz losgelassen, und vor fünf, sechs Jahren war ich zwar nicht direkt unglücklich, aber ich spürte, dass mir etwas Entscheidendes im Leben fehlte. Ich begann mit den Gesängen und habe den Buddhismus neu für mich erfahren und lieben gelernt. Der Buddhismus hat mir Klarheit im Leben gebracht, ich sehe heute leichter, was wichtig ist.

GA: Wer oder was ist wichtig?

George: Die Familie. Überhaupt: Menschen. Ich lege keinen wirklichen Wert auf Besitz, auf Sachen. Die erste, die mir in den Sinn kommt, ist meine Mutter.

GA: Im hymnischen Stück „Life“ singen Sie „You give me hope, you give me life“. An wen ist es gerichtet?

George: An unser Publikum. Ohne die Leute, die zu unseren Konzerten kommen, wäre ich nichts. Und dann ist der Song auch eine Liebeserklärung an die Musik als solche. Und drittens geht es um Optimismus, um zweite Chancen, dritte Chancen, ums Rausklettern aus tiefen Löchern. Damit kenne ich mich aus, aber es soll nicht nur um mich gehen. Wenn es um üblen Mist im Leben, Tiefschläge und Dummheiten geht, dürfte wohl jeder Mensch auf dieser Welt mitreden können.

GA: Wer hat Sie rausgeholt?

George: In erster Linie ich selbst. Denn letzten Endes bist du allein, wenn es dir dreckig geht. Unterstützung hilft dir nur, wenn du auch bereit bist, dich unterstützen zu lassen und die Stärke zu finden, die dich dein Leben weiterführen lässt.

GA: Das neue Album hat lange auf sich warten lassen. Warum?

George: Wir mussten Geduld haben, bis wir untereinander wieder gut auskamen und gute Musik schreiben konnten. Anfang dieses Jahres waren wir endlich so weit. Das neue Album ist sicher nicht perfekt, aber es kommt von uns, es ist aufrichtig. So viel Musik ist heute so bombastisch und überproduziert. Diese Platte ist echt, sie ist altmodisch, sie besteht aus Songs mit Anfang, Mittelteil und Ende.

GA: Viele der Lieder sind sehr poppig. Sollte das so sein?

George: Ja, dem stimme ich aus vollem Herzen zu. Das hat sich so entwickelt mit den großen Refrains, auch mit dem Pathos, wir sind halt in den Siebzigern und Achtzigern aufgewachsen, wir kommen aus einer Zeit, in der Songs mächtige Melodien und große Emotionen hatten. David Bowie, Queen, das waren klare Einflüsse auf mich als Autor.

GA: „Human Zoo“ hört sich besonders melodisch an. Was ist mit dem Titel gemeint?

George: Die Welt kommt mir oft vor wie ein Zoo. In diesem Zoo suche ich überall, auch an ungewöhnlichen Orten, nach der Liebe. Und ich suche immer noch. Obwohl ich schon überall geguckt habe.

GA: Ist es schwer, den perfekten Partner zu finden?

George: Naja, perfekter Partner. Das ist eine altmodische Sichtweise. Mir fehlt nichts, ich war nie jemand, der unbedingt einen Partner brauchte, nur um einen Partner zu haben. Ich habe viel Lebenszeit als Single verbracht. Ich liebe das. Ich genieße die Freiheit, Single zu sein.

GA: Sie sagen, Sie hätten in der Band den Zwist beendet. Ist jetzt alles super?

George: Nein. Wir sind eine reisende Familie, bei uns gibt es viele Meinungen, viel Persönlichkeit, viel Ego. Aber am besten klappt es, wenn wir alle so sein dürfen, wie wir sind. Man muss die Menschen akzeptieren, dann ist es am Einfachsten.

GA: Ihr Coming Out damals schien eher widerwillig passiert zu sein. Wäre das heute alles leichter?

George: Gegenüber meiner Familie bekannte ich mich schon 1975 zu meiner Homosexualität, und ich lebte offen schwul, bis Culture Club den ersten Hit hatte. So wie ich damals aussah, hätten nur Blinde annehmen können, ich sei heterosexuell (lacht).

GA: Aber?

George: Der ganzen Welt zu erzählen, dass du schwul bist, das war viel schwerer für mich. Denn so legst du dein Vertrauen ja in die Hände von Menschen, die du gar nicht kennst. Klar, jeder sagt: „Bekenn dich, bekenn dich“, und wenn du es dann tust, wollen alle mit dir noch über deine Sexualität sprechen. Du kannst dieses Spiel also nicht gewinnen.

GA: Für viele Menschen waren Sie damals so etwas wie der erste Schwule, den sie erblickten.

George: Ja, und jeden Tag schreiben oder sagen mir Menschen heute schöne Dinge wie „Du hast mir geholfen, der zu sein, der ich bin“. Ich denke, mein Auftauchen in der Welt war so ziemlich das Schwulste, was es zu der Zeit gab. Auch wenn ich in erster Linie ein Mensch bin, und nicht der Vorzeigeschwule vom Dienst.

GA: Sie haben mit den Drogen aufgehört und sind deutlich schlanker. Ist der Verzicht hart?

George: Nein, ich vermisse nichts. Ich versuche, mich gut zu ernähren. Dass die Drogen in meinem Leben keine Rolle mehr spielen, ist ein Segen. Mit den Zeugs war es sowieso komisch bei mir.

GA: Wieso komisch?

George: Ich hatte sechs, sieben Jahre fast ohne Unterbrechung gearbeitet, dann fiel ich regelrecht vom Laufband, und es kam zu einer kurzen Phase der Selbstzerstörung. Ich denke heute nicht mehr viel über die Vergangenheit nach, ich jammere nicht rum: „Oh, ich würde so gern mal wieder in die Achtziger reisen“. So toll war es dann doch nicht.

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