Premiere in Köln Sartre-Klassiker im Kölner Theater

Köln · Bastian Kraft inszeniert Jean-Paul Sartres „Die schmutzigen Hände“ im Depot 1 des Kölner Schauspiels. Tosender Beifall für Theater auf allerhöchstem Niveau.

Hugo will sich neu erfinden: Kampf statt Kaffeehausparolen, Pistole statt Schreibmaschine. Den kommunistischen Genossen im fiktiven Balkanstaat Illyrien will sich das Bürgersöhnchen gleich mit einem Attentat beweisen. Designiertes Opfer: Funktionär Hoederer, der die radikale Parteilinie 1943 mitten im Krieg zugunsten eines Pakts mit den Regierenden verrät. Jean-Paul Sartre Politgleichnis „Die schmutzigen Hände“ von 1948 schillert im Depot 1 des Kölner Schauspiels vom ersten Bild an als visuell überwältigendes Vexierspiel.

Auf Wolfgang Menardis rotierender Spiegelkabinettbühne lässt Regisseur Bastian Kraft die Figuren in perfekt ausgezirkelter Choreografie ihren Widersachern und Doppelgängern begegnen. Alles ist im Fluss und kaum je mit einem Blick überschaubar.

Das gilt für Dogma und Moral wie für Gegenwart und Vergangenheit, denn Sartre erzählt das Drama per Rückblende. Hugo hat Hoederer nach schier endlosem Zaudern zwar erschossen, doch der politische Mord steht im Verdacht, nur eine bourgeoise Eifersuchtstat gewesen zu sein. Und im Verhör erkennt KP-Hardlinerin Olga, dass die Beichte dieses Miniatur-Hamlets voller Selbsttäuschungen ist.

All diese flirrend-irritierenden Unwägbarkeiten bringt die Regie brillant auf den Punkt. Kraft weicht dem Ideenduell zwischen „reiner“, tatsächlich aber blutiger Prinzipientreue und dem „schmutzigen“, in Wahrheit humanen Pragmatismus keineswegs aus. Aber er bettet es in einen raffiniert zurückgespulten Psychothriller mit erotischen Triebkräften.

Hier hilft jener Kunstgriff, den der Regisseur schon in „Dogville“ (2014) angewendet hat: Per Live-Kamera werden sprechende Details, vor allem aber die Gesichter der Schauspieler über die Bühne projiziert.

Eindringlichkeit der Szene steigern

Was als Medien-Gimmick verläppern könnte, steigert die Eindringlichkeit der Szenen frappierend. Dafür sorgt neben Jonathan Kastls filmischem Geschick vor allem das bis in jede mimische Nuance präzise Ensemble. So sieht man beinah porentief, wie Sophia Burtschers lasziv-kokette Jessica ihren Gatten Hugo verspottet, verachtet und immer wieder vergebens zur Tat drängt. Um sie schließlich verhindern zu wollen, weil sie mittlerweile Hoederers rauem Charme erlegen ist.

Umgekehrt entwickelt ausgerechnet Katharina Schmalenbergs Olga bei aller Verhörstrenge zarte Gefühle für Hugo. Letzteren verkörpert Nikolaus Benda als innerlich Zerrissenen, von der eigenen Handlungsschwäche Zermürbten. Ein Killer mit zitternder Hand, dem in seiner Selbstüberforderung eben keine Kaltblütigkeit zuwächst. Im Gegenteil erscheint ihm Hoederer zunehmend als Ersatzvater, was die wohl tragischste Liebesgeschichte dieses Abends begründet.

Höchste Zeit, von Martin Reinke zu sprechen. Er gibt dem alten Politprofi das romantische Flair des einsamen Wolfs. Und gerade so viel tapfer verborgene Melancholie, dass sie seiner Verhandlungshärte (in einer skalpellscharfen Szene mit Benjamin Höppner und Johannes Benecke) nicht in die Quere kommt.

Ohnehin hat Sartre Hoederer die klügeren Gedanken ins Textbuch geschrieben. Doch wenn der Stratege dann dem Intellektuellen im Showdown gegenübersteht, ist es eben auch Reinkes Charisma, das Hugos menschenverachtenden Kadavergehorsam moralisch zur Strecke bringt. Und wenn dann auch noch die Partei „umfällt“ und Hoederer rehabilitiert, bleibt seinem Mörder im bitteren Schlussbild nur der Notausgang in den Tod. Der Rest ist tosender Beifall für Theater auf allerhöchstem Niveau.

Knapp zwei Stunden ohne Pause. Nächste Termine: 5., 10., 16. u. 21. 2., je 19.30 Uhr, 17. 2. 16 Uhr. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops des General-Anzeigers sowie im Internet auf www.ga.de/tickets.

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