Sauna-Atmosphäre in Bonn

Frank Heuel inszeniert in Werkstatt "Das Treibhaus" nach Roman von Wolfgang Koeppen

Sauna-Atmosphäre in Bonn
Foto: Thilo Beu

Bonn. Der Boden der Werkstatt ist übersät mit Polaroids. Im Eiltempo entwickelte Bilder, die unscharf und verschwommen bleiben; genau wie die Demokratie der frühen Bundesrepublik, durch die der Abgeordnete Keetenheuve mit dem Zug fährt. Sein Ziel ist Bonn, dieses politische "Treibhaus" der frühen Jahre, das Wolfgang Koeppen in seinem gleichnamigen, 1953 erschienenen Roman zum Schauplatz einer frühen Abrechnung gemacht hat. "Das Treibhaus" ist ein böses Panorama der Restauration, das die Republik in ihrer Kleinkindphase inspiziert. Keetenheuve kehrt aus dem Exil zurück, um mitzuarbeiten: "Er wollte Jugendträume verwirklichen."

Ein Schöngeist mit Hang zu minderjährigen Mädchen, der einem Fundamental-Idealismus frönt. Sein Blick auf die Schlingpflanzen der Pragmatiker, Altnazis, Lobbyisten ist ätzend; sein Kampf gegen die Wiederaufrüstung ähnelt jedoch dem des Don Quichotte, nur dass Keetenheuve darum weiß und den Untergang auch genießt. Regisseur Frank Heuel hat diesen "Roman eines Scheiterns" (Wolfgang Koeppen) zum Auftakt der Reihe "60 Jahre in 6 Wochen" dramatisiert und vertraut zu Recht zunächst auf den Rhythmus der Sprache.

Wenn Keetenheuve im Zug seine Ehe mit der an Alkoholismus gestorbenen Elke rekapituliert, sitzen Bettina Marugg, Harald Redmer, Stefan Preiss und Maria Munkert steif auf Bürostühlen. Tanja von Oertzen verharrt am Rand. Der Text von Koeppens dialogarmem Roman ist auf alle Schauspieler verteilt: Jeder ist an diesem Abend einmal Keetenheuve. Die Harmonikaklänge von Matthias Höhn sowie Bilder vom Rhein mit vorbeizuckelnden Schiffen sorgen kurz für eine irreale Atmosphäre, doch ansonsten kontert die Inszenierung Koeppens mythische Anspielungen mit einer taghell erleuchteten Bühne.

Für Keetenheuves Treffen mit Politikern gruppieren sich Stefan Preiss und Harald Redmer wie zwei siamesische Abgeordnete; danach sieht man ihn vor einem Teller im Casino sitzen. Es sind kleine, eindrückliche Bilder, mit denen Frank Heuel den Roman behutsam in die Szene überführt. Allmählich dunkelt sich die Bühne ein. Die Schauspieler werfen Polaroids auf drei Stellwände (Ausstattung: Annika Ley), auf denen dann Fotos von Sissi, Adenauer oder Schumacher erscheinen: ein bildliches Kompendium der 50er Jahre.

Allmählich schlüpft Tanja von Oertzen in die Rolle der Zeremonienmeisterin der Apokalypse. Sie liefert Innenschau, Assoziationen und Erzähltexte, während Bettina Marugg mit der Wasserflasche über glühenden Kochplatten für Sauna-Atmosphäre sorgt: Bonn wird zum schwülen Treibhaus, in dem der Verfall Alltag ist. Keetenheuves Bundestagsrede gegen die Wiederaufrüstung bleibt wirkungslos; sein Besuch des Wochenmarktes und des Kinos lassen an Thomas Manns "Tod in Venedig" denken.

Keetenheuves Tadzio heißt hier nur Lena, ist 16 und hat mit ihm Sex in den Ruinen. Es ist ein Untergang mit Ansage, in dem sich persönliches Versagen mit messerscharfer Analyse mischen. Frank Heuel gelingt eine zwischen respektvoller Textbehandlung und bildlicher Umsetzung klug vermittelnde Dramatisierung, die zwar Distanz herstellt, aber die aktuellen Züge in Koeppens Roman nicht verschweigt.

Weitere Termine: 19., 21 und 28. Oktober.

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