Hommage an Henry Moore im Wuppertal Schau mir in die Augen, Kleines

Tony Craggs großartige Hommage an Henry Moore im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden. Zu sehen sind 31 Gipsskulpturen aus der Henry-Moore-Foundation

 Henry Moores „Reclining Figure: Angels“ (1979)

Henry Moores „Reclining Figure: Angels“ (1979)

Foto: Thomas Kliemann

Es ist immer aufregend, mit Künstlern über die Kunst ihrer Kollegen zu sprechen. Noch spannender, mit ihnen durch eine Ausstellung zu gehen, die nicht ihre ist. Die Krönung schließlich ist, wenn ein Künstler einem Kollegen eine Ausstellung ausrichtet. Der Brite Tony Cragg, Bildhauer, bis 2013 Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie und Initiator des wunderbaren Skulpturenparks Waldfrieden in Wuppertal, hat von Anfang dieses 2008 gestarteten Projekts an Künstlerkollegen in seine Präsentation eingebunden. Bogomir Eckers „Odolop“ und Markus Lüpertz' „Paris ohne Arme“, Richard Deacons „Aramis“, Erwin Wurms „Fat House“ und Jaume Plensas „Maria W's World“ – um nur einige zu nennen – führen im Park einen angeregten und anregenden Dialog mit der umgebenden Natur und einer Reihe von Cragg-Arbeiten aus nahezu allen Schaffensperioden des 67-Jährigen. Da sind die sich auf einer Lichtung in den Himmel windenden Bronzeskulpturen „Points of View“ – ganz entfernte Verwandte von „Mean Average“ auf dem Bonner Remigiusplatz –, der vielfach perforierte „Ferryman“, das wie ein riesiger Schiffsmotor anmutende schwarze Werk „Ein Block“ und die Hochglanz-Edelstahlfigur „Distant Cousin“, in der sich der Wald spiegelt.

In diesem Jahr ist Cragg bei der Hommage an seine Kollegen einen Schritt weiter gegangen, hat sich zudem einen alten Traum erfüllt und zeigt Henry Moore, die zen-trale, charismatische Bildhauerfigur Englands des 20. Jahrhunderts. 1983 hatte er in Ontario Gipsskulpturen des Meisters entdeckt und war begeistert, diese von Arbeitsspuren übersäten, fleckigen, lebendigen Modelle zu sehen. Drei Jahrzehnte später holt er nun dieses zumindest in Deutschland kaum bekannte Segment aus Moores Werk nach Wuppertal.

In den beiden Ausstellungshallen des privat finanzierten Parks – eine dritte ist in Arbeit, soll 2017 eröffnet werden – sind insgesamt 31 Gipse aus der Henry-Moore-Foundation zu sehen. Vor der bizarr-geschwungenen Villa Waldfrieden, ein seltenes Beispiel des „organischen Bauens“ aus den 1930er Jahren, steht eine ebenso verspielte, hoch aufragende Moore-Bronze, „Large Interior Form“. Nicht weit davon entfernt am Waldrand eine „Sitzende“, die Moore in den 1950er Jahren für Wuppertal schuf. Sie war einst vor der spektakulären „Schwimmoper“, der städtischen Badeanstalt, platziert, vagabundierte durch die Stadt und darf jetzt dauerhaft in Craggs Garten bleiben.

Von der „Sitzenden“ aus Bronze führt ein direkter Weg zu den Gipsen. Moore hat gerne in Gips gearbeitet, den man im feuchten Zustand modellieren kann. Wenn er ausgehärtet ist, kann man ihn schneiden, feilen, sogar mit der Käsereibe bearbeiten. Die „Sitzende“ wie auch die Reihe von „Liegenden“ gibt es in vielen Gipsvarianten. Erst spät war Moore auf die Idee gekommen, die Gipse, die gewöhnlich mit Markierungen versehen, verstaubt und ramponiert im Atelier standen, oft auch nach Vollendung der Bronze vernichtet wurden, als eigenständige Kunstwerke zu bewerten. Einige Gipse bearbeitete er weiter, polierte und färbte sie.

In der Ausstellung begegnen einem „Wesen“ mit einer mal samtigen, mal schrundigen, oft hautartigen Oberfläche, Personen, die den Betrachter mit rührenden Knopfaugen fixieren. Eine großartige Präsenz und Körperlichkeit kennzeichnet diese Gipse. Sie belegen nicht nur Moores bildhauerische Klasse. Sie zeigen ihn auch als Meister, der aus allen Epochen und Zivilisationen von den Sumerern bis Picasso und Brancusi ein archetypisches, stoisches und zeitloses Bild der Menschheit destilliert.

Dies ist eine sehr treffende Einschätzung von Tony Cragg, der Moores Kunst auch in ihren Zeitkontext stellt: Dem Bildhauer sei es auch darum gegangen, dem modernen Menschen jene Würde zurückzugeben, die ihm nach zwei Weltkriegen und der Unterwerfung durch die industrielle Gesellschaft abhandenzukommen drohte.

Cragg ist mit der Schau „Henry Moore Plasters“ eine glänzende Hommage gelungen.

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