Doppel-Ausstellung Schau mir in die Augen!
Bonn/Köln · Eine sensationelle Doppelausstellung im Kunstmuseum Bonn und in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur in Köln widmet sich unter dem Titel: Mit anderen Augen - dem Porträt in der Fotografie.
Um es vorweg zu sagen: Diese Doppelausstellung muss man gesehen haben. Es geht um ein zentrales, das vielleicht intimste Thema der Kunst: das Porträt. Es war die Königsdisziplin der Malerei und Bildhauerei, seit Erfindung der Fotografie ein beliebtes Genre, um damit Menschen zu analysieren, die Gesellschaft zu erfassen. Und mit dem Aufkommen der Selfies ist das (Selbst-)Porträt der pausenlos vollzogene Blick aufs Ego.
Zwei Institutionen, zu deren Profil die Beschäftigung mit der Fotografie gehört – die Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur in Köln und das Kunstmuseum Bonn –, haben ihre Kompetenzen gebündelt und eine exzellente Schau an beiden Orten inszeniert. Eine Ausstellung über die Porträtfotografie seit den 90er Jahren, mit vielen bekannten Größen, aber auch etlichen Überraschungen.
Die opulente Schau, die rund 50 Fotokünstler und fast 500 Fotografien präsentiert, hat einen prominenten Vorläufer: die von Klaus Honnef 1982 im Rheinischen Landesmuseum Bonn gezeigte Ausstellung „Lichtbildnisse. Das Porträt in der Fotografie“, ein Meilenstein in schwieriger Zeit, denn Anfang der 80er Jahre war die Fotokunst in der Museumsszene noch nicht durchgesetzt. „Mit anderen Augen“, die aktuelle Schau, zeigt, was seit 1982 geschah. Das ist unermesslich viel – siehe Digitalisierung, siehe neue Konzepte. Also, eine wichtige Bestandsaufnahme, die zudem Spaß macht.
Wo anfangen? Es spricht vieles dafür, den Parcours in Köln zu beginnen. Erwartet uns dort doch mit August Sander der Vater einer modernen, konzeptuellen Fotografie. Seine enzyklopädische Serie „Menschen des 20. Jahrhunderts“ ist für viele Fotokünstler nach ihm der Anfang zu einer Fotografie, die dokumentarisch und analytisch ist, die Typisierungen vornimmt und zugleich das Individuelle betont. Fotografie als Gattung, die sich als relevantes Medium der Gesellschaftsanalyse etablierte, was in früheren Jahrhunderten die Rolle der Malerei war.
In Köln trifft der Besucher nicht nur auf Sander, sondern etwa auch auf die hinreißenden Porträts von Jerry L. Thompson, der Assistent bei Walker Evans war. Evans ist in den USA, was Sander für Europa war. Zwischen diesen Polen oszilliert die Kölner Ausstellung.
Thompsons 70er-Jahre-Porträts aus Coney Island treffen auf die Freaks der Diane Arbus (60er) und die Dokumentationen von Rosalind Solomon (70er), die gewissermaßen die Doppelschau zeitlich erden. Direkt auf Sander gehen die Schwarz-Weiß-Porträts von Judith Joy Ross, entfernt auch die Afghanistan-Bilder von Mark Neville zurück. Neville war „War Artist“ bei der 16. Air Assault Brigade der Britischen Armee, porträtierte Soldaten und Ureinwohner. Joerg Lipskoch setzt „Menschen des 21. Jahrhunderts“ ein fotografisches Denkmal, vom Japaner Hiroh Kikai stammt die spannende Langzeitdoku über Bewohner des Tokioter Amüsierviertels Asakusa, die der Fotograf vor der Wand des Tempels Senso-ji ablichtete.
Eine faszinierende Serie, die kontrastiert wird von Mette Tronvolls kühler Recherche über eine Gesellschaft in Spitzbergen, Pepa Hrstovas beklemmender Dokumentation über Frauen in Albanien, die durch gesellschaftliche Zwänge quasi zu Männern mutierten, oder Pieter Hugos schöne Video-Impressionen von stolzen Menschen auf einer Müllkippe in Ghana.
Die Bonner Ausstellung nimmt einige Fäden aus Köln auf, präsentiert „Mit anderen Augen“ aber eher zugespitzt und bisweilen ironisch gebrochen. Schon der zentrale Ausstellungsraum zeigt neben Grenzen des Porträts auch dessen Auflösung in der Masse oder Anonymität: Bei Thomas Struth hängen die Bildnisse von Velázquez im Prado, Massen wälzen sich teilnahmslos vorbei; das Duo Clegg & Guttmann fotografierte im Jahr 2000 Minister aus dem Kabinett Schröder, die kaum noch jemand beim Namen kennt – ein Paradestück über die Halbwertszeit politischer Porträts. Ganz in der Nähe hängen Katja Stukes Bilder, die von Überwachungskameras zu stammen scheinen, und Timm Rauterts grobkörnige Aufnahmen mitunter gesichtsloser Broker.
Faszinierend ist die Inszenierung von Rollenbildern, etwa bei Daniela Risch, die als ihre eigene Mutter bei Alltagstätigkeiten posiert, oder Katharina Bosse, die sich in einer Persiflage auf Mutter-Klischees aus der Blut-und-Boden-Zeit blond und kaum bekleidet mit Kind in die Natur setzt. Das Porträt als Selbstbefragung findet sich sowohl bei Thomas Ruff als auch bei Eckhard Korn, der Konfirmanden des Jahres 2010 in ihre Kinderzimmer gestellt und abgelichtet hat.
Das Genre erscheint als flüchtiges Phänomen: Bei Christopher Muller etwa schleicht sich das Porträt über Postkarten und Schnappschüsse als biografisches Aperçu ins fotografierte Stillleben, während Christopher Williams keinen Hehl daraus macht, dass ihn das Individuum gar nicht interessiert. Der Mensch – ein Berufs-Model – ist bei ihm nur Teil des Settings, wie die Deko und andere Bilddetails. Andere Fotografen arbeiten mit vorgefundenem Material. Peter Piller etwa, der Fahndungsfotos oder per Photoshop nahezu unkenntlich gemachte Kitschbilder von Frauen in der Natur („Frau Baum“) verwendet. Jan Paul Evers zeigt Helmut und Hannelore Kohl mit ihrem Schäferhund in einer unscharfen Schwarz-Weiß-Fotografie, außerdem Robert Rauschenberg als grau verlöschenden Schatten (wer denkt da nicht an die durch Rauschenberg ausradierte Zeichnung von Willem de Kooning).
Das Porträt als klassisches Genre, um die Umwelt zu erfassen: Auch das gibt es in Bonn mit Wolfgang Tillmans Bildern aus seinem Freundeskreis, Thomas Struths Familienfotos, den Künstlerporträts von Albrecht Fuchs. Inszeniert ist letztlich fast alles, auch die vorgeblich zwanglose Kaffeehaus-Szene von Jana Kölmel. Auf den Blickwinkel kommt es an. Selbst das wird zum Thema: Barbara Probst rückt zum Porträttermin immer mit mehreren Kameras an. Jede hat ihre eigene Perspektive auf das, was wir Realität nennen.