Schauspielhaus Köln: Herbert Fritsch inszeniert "Herr Puntila und sein Knecht Matti"

KÖLN · Wer ihn verpflichtet, bestellt keine artige Werktreue. Nein, Herbert Fritsch (61) macht den Klassikern Beine, auf denen sie geradewegs in die Travestie oder ins irrlichternde Horrorkabinett wetzen. Nun liefert ihm Bertolt Brechts Volksstück "Herr Puntila und sein Knecht Matti" die Steilvorlage für die Kölner Variante seines Auf-Teufel-komm-raus-Theaters.

 Charly Hübner (Puntila) und Angelika Richter (Eva) in Herbert Fritzschs Kölner Inszenierung.

Charly Hübner (Puntila) und Angelika Richter (Eva) in Herbert Fritzschs Kölner Inszenierung.

Foto: David Baltzer

Bloß keine papiernen Klassenkampfdiskurse, die es hier auch gibt, weil Gutsbesitzer Puntila im Vollrausch zwar gern von Mensch zu Mensch mit dem Personal plauscht, nüchtern aber den kapitalistischen Kotzbrocken gibt. Nordische Folklore? Mag sein, dass das 1940 auf dem Gut von Helga Kuolijoki entstandene Stück in der finnischen Heimat der Kollegin spielt - ins Schauspielhaus aber baut Janina Audick eine tropische Riesenrutschbahn. Davor spielt John R. Carlson als spinnenbeinige Josephine Baker mit Bananenröckchen die Musik von Paul Dessau, und manchmal neigen die Kokospalmen neugierig die Wedelhäupter.

Es gibt ja auch etliches zu sehen, denn fast jede Szene wird angeschrägt, aufgeschrillt, unter Slapstick-Starkstrom gesetzt. Charly Hübners Puntila macht an diesem Abend im stahlblauen Butterfahrten-Entertainer-Anzug beiläufig ein halbes Dutzend Sportabzeichen. Er tänzelt und torkelt, wälzt und windet sich, platscht auf den Boden, springt wie elektrisiert wieder auf - und das alles gewissermaßen in einer fließenden Dauerbewegung. Sein proletarischer Widerpart ist mit roter Uniform und Chauffeursmütze hingegen oft wie festgedübelt. Michael Wittenborn gibt Matti einen genölten Singsang mit schnarrendem "Rrrr", das ihn manchmal wie eine Hitler-Karikatur wirken lässt. Doch mag Fritsch beide auch in einen innigen Kuss zwingen, so bleiben sie meist seltsam beziehungslos im entfesselten Tohuwabohu.

Klar? schon die Kostüme sind eine Schau. Das Telefonmädchen (eine von Puntilas eilig eingesammelten Bräuten) trägt Hörer samt Schnur gleich auf dem Kopf, der Richter (Robert Dölle) zeigt unter Perücke und roter Robe Strapse und Stöckelschuhe, während der Attaché (Maik Solbach) im senfgelben Cocktailanzug derart herumschwuchtelt, als sei er gerade dem "Käfig voller Narren" entsprungen. Angelika Richter bewahrt als Puntilas zwischen den Ständen schwankende Tochter Eva naive Contenance, hilft aber nichts, denn sie bekommt vier Doppelgängerinnen verpasst.

Das alles hat anfangs Schmiss und Schwung, das Ensemble chargiert nach Herzenslust. Doch schon bald krampft die temperamentsbolzende Comic-Kurzweil, und die Inszenierung kalauert sich um Kopf und Kragen. Hübner muss nicht nur schwitzen, sondern auch schwäbeln und so oft auf seine Fernsehrolle im "Polizeiruf" hinblödeln, bis es auch der Letzte begriffen hat. Die von Brecht eingestreuten Moritaten werden in Schrei-Chören zerschreddert (ein mittlerweile Phrasenschwein-verdächtiger Kunstgriff) und der Besuch der Bräute mit peinlicher Kopulationsakrobatik "angereichert".

Irgendwann ist Fritschs Rocky-Horror-Puntila-Show derart außer Rand und Band, dass selbst dankbare Schlüsselszenen wie Evas Arbeiterfrau-Examen hastig vergeigt werden. Mattis späte Rückkehr zum Proletarierstolz schenkt sich der Regisseur dann ganz und vereint Herrn und Knecht im Schluss-Idyll. Irgendwie muss sie ja mal enden, diese Vollgasfahrt im Leerlauf. Die letzten Tropfen Benzin im Tank braucht Fritsch dann für seine witzige Applaus-Regie, die den (fast) einhelligen Schlussbeifall in die Länge zieht.

Nächste Termine: 30. Januar; 1., 25. u. 26. Februar. Karten u.a. in allen GA-Zweigstellen und bei bonnticket.de

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