Win Wenders: "Every Thing Will Be Fine" "Schuld ist ein deutsches Thema"
Wim Wenders gehört zu den bedeutendsten Filemachern in Deutschland. Sein jüngstes Werk "Every Thing Will Be Fine" ist soeben angelaufen. Mit Wenders sprach Martin Schwickert.
"Every Thing Will Be Fine" erzählt von den psychischen Folgen eines Autounfalls, bei dem ein Kind ums Leben kommt. Obwohl den Fahrer juristisch gesehen keine Schuld trifft, überschattet der Unfall sein Leben nachhaltig. Was hat Sie am Thema "Schuld" interessiert, dass Sie ihm einen ganzen Film gewidmet haben?
Wenders: Schuld ist ein sehr negatives Gefühl, das die eigene Seele auffressen kann. Es nimmt einem den Lebensatem. Um darüber hinweg zu kommen, braucht man Hilfe und Gesten der Vergebung von Anderen. Schuld besteht ja hauptsächlich aus Selbstvorwürfen und hat nicht unbedingt etwas mit dem zu tun, was andere von einem denken. Anderen zu vergeben, ist meistens einfacher als sich selbst zu vergeben. Vergebung ist eines der großzügigsten Dinge, die man in sich finden kann. Und wenn man es gefunden hat, bereichert es das Leben und die eigene Persönlichkeit ungemein.
Sie beschreiben anhand der Figur des Schriftstellers Tomas Schuld als ein eher schleichendes Gefühl. Warum dieser eher verhaltenen Blick?
Wenders: Auch wenn Tomas es nicht zeigt, geht dieser Mann durch die Hölle. So etwas will kein Mensch durchmachen. Selbst wenn er sich nicht die alleinige Verantwortung für den Unfall geben muss. Der Hergang lässt sich nicht restlos aufklären. Es war ein ganz kurzer Moment der Unaufmerksamkeit, aber wahrscheinlich hätte er den Unfall auch nicht verhindern können, wenn er aufgepasst hätte. Aber es bleiben viele offene Fragen. Auch der ältere Bruder wird davon verfolgt. Er fragt sich, ob er auf seinen Bruder besser hätte aufpassen sollen? Mit diesem Trauma müssen alle Beteiligten einen Umgang finden. Es geht immer wieder um dieses schreckliche "Was wäre wenn?". Ich wollte in dem Film den langsamen Heilungsprozess der verschiedenen Figuren nach diesem traumatischen Ereignis zeigen.
Haben Sie als Deutscher eine besondere Verbindung zum Thema "Schuld"?
Wenders: Da kann ich nur zustimmen. Wir Deutsche haben durch unsere Geschichte eine ganz besondere Neigung zu diesem Thema.
Gibt es einen persönlichen Grund, warum Sie diese Geschichte fasziniert hat?
Wenders: Ich musste mich an einem Punkt in meinem Leben mit der Frage der Schuld auf ähnliche Weise auseinandersetzen wie Tomas. Ich war zwar nicht direkt verantwortlich, aber ich war in die Situation involviert. Außerdem steht man als Regisseur immer stark in der Verantwortung. Besonders wenn man mit Kindern arbeitet und noch stärker bei Dokumentarfilmen. Aber manchmal fühlt sich dieses Verantwortungsgefühl auch gut an, etwa wenn die alten Männer in "Buena Vista Social Club" durch meinen Film im Alter von 85 noch so bekannt wie die Beatles wurden.
In "Pina" haben Sie 3-D für den Dokumentarfilm entdeckt. Warum haben Sie auch dieses intime Drama in 3-D gedreht?
Wenders: Ich hatte den ersten Skriptentwurf von Bjørn Olaf Johannessen bekommen, bevor die Dreharbeiten zu "Pina" begannen. "Pina" war von dem Glauben angetrieben, dass Tanz und 3-D zusammen gehören. Erst am Ende des Filmes habe ich eine Szene gedreht, in der es nicht um Tanz ging, sondern um die Gesichter der Tänzer. Mit diesen Nahaufnahmen habe ich realisiert, dass Gesichter in 3-D eine Präsenz besaßen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Wie durch ein Vergrößerungsglas sah man jede Emotion in ihnen. Das war die Geburtsstunde für "Every Thing Will Be Fine", in dem ich dieses filmische Mittel für eine dramatische, intime Geschichte benutzen wollte.
Wie verändert sich die filmische Erzählweise durch die Verwendung von 3-D?
Wenders: Durch 3-D hat das Publikum fast das Gefühl, dass es die Figuren anfassen kann und mit ihnen gemeinsam den Raum teilt. Und die Story war ideal dafür, weil sich die Hauptfigur ja etwas bedeckt hält, während die 3-D-Kamera direkt in ihre Seele schaut. Aber man muss natürlich sehr aufpassen, weil jede Form von "Overacting" in 3-D gnadenlos entblößt wird. Man muss seine Schauspieler herunterkühlen. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich James Franco zu sehr zurückgenommen habe. Aber als ich die Szenen dann im Vorführraum anschaute, war alles, genauso wie ich es wollte, auf der Leinwand zu sehen.
Zur Person
Der Filmemacher Wim Wenders wurde am 14. August 1945 in Düsseldorf geboren. Zu seinen wichtigsten Filmen gehören "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter", "Der scharlachrote Buchstabe", "Alice in den Städten", "Im Lauf der Zeit" sowie "Der amerikanische Freund". 1984 entstand "Paris, Texas", 1987 "Der Himmel über Berlin". Mit den Dokumentarfilmen "Buena Vista Social Club" und "Pina" gelangen ihm eindrucksvolle Werke. Wenders ist mit der Fotografin Donata Wenders verheiratet. Zuvor war er Ehen mit den Schauspielerinnen Edda Köchl und Ronee Blakley eingegangen.