Kölner Schauspiel Sebastian Nübling inszeniert Gorkis "Die Letzten"

Köln · So viel Abschied liegt selten in der Luft: letzter Akt der Kölner Schauspielära von Karin Beier, letzte Premiere in der Expo XXI, noch dazu mit Maxim Gorkis "Die Letzten". Endzeitstimmung prägt auch dieses Stück, das 1907 in der Frühphase der Russischen Revolution entstand und von zaristischen Zensoren prompt verboten wurde.

 Zerrüttetes Paar: Julia Wieninger als Sofja und Markus John als Iwan. Marie Rosa Tietjen (Wera) stürzte bei der Premieren mit ihren Rollschuhen - und brach sich den Fuß. Sie hielt dank Eisspray, Schmerzmitteln und eisernem Willen durch und kam nach der Premiere ins Krankenhaus. Jennifer Frank übernimmt (lesend) die Rolle, so dass keine Vorstellung ausfallen muss.

Zerrüttetes Paar: Julia Wieninger als Sofja und Markus John als Iwan. Marie Rosa Tietjen (Wera) stürzte bei der Premieren mit ihren Rollschuhen - und brach sich den Fuß. Sie hielt dank Eisspray, Schmerzmitteln und eisernem Willen durch und kam nach der Premiere ins Krankenhaus. Jennifer Frank übernimmt (lesend) die Rolle, so dass keine Vorstellung ausfallen muss.

Foto: David Baltzer

Eine bourgeoise Welt geht unter, aber nicht mit mollgedämpfter Tschechow-Melancholie, sondern mit dissonanten Pauken und Trompeten. Wobei der abgesetzte Polizeichef Iwan als Folterer, Säufer und Hurenbock das moralisch abgewirtschaftete System verkörpert. Dass er die Tochter Ljubow - eigentlich das Kind seiner Frau Sofja und des ebenso reichen wie kranken Bruders Jakow - im Suff zum Krüppel machte, kümmert ihn kaum. Und dass er als (unverletztes) Attentatsopfer den falschen Anarchisten ins Gefängnis schickt, kratzt ihn ebenso wenig wie die Verkommenheit seiner großen Kinder und die Verzweiflung der jüngsten, Wera und Pjotr.

Regisseur Sebastian Nübling heizt diese Familienhölle bis zur Hysterie auf und lässt alle eher mit dem Knüppel als dem Florett aufeinander eindreschen. Sein verblüffendster Effekt: Das Ensemble spielt auf Rollschuhen. Starre löst sich da sekundenschnell in Dynamik auf, eine sichere Entfernung gibt es auf Muriel Gerstners weitläufiger Bühnenbrache für niemanden. Ein verglaster und ein abschließbarer Verschlag am Rand sind die einzigen Fluchtbezirke dieser Zimmerschlacht, die sich auf einem tortenförmigen Diwan in der Mitte konzentriert.

Hier darf sich Markus John als Iwan der Schreckliche formatsprengend produzieren: ein abgetakelter Popanz, der im Haus des gnadenlos ausgenommenen Bruders (Samuel Weiß) noch den starken Mann mimt. Mindestens ebenbürtig: Julia Wieninger als Sofja im Babuschka-Look.

Wie Koloratur-Arien schmettert sie Schuldzuweisungen und Selbstbezichtigungen über die Rampe, denen sie im nächsten Moment kein Wort mehr glaubt - gewiss die stärkste Leistung. Doch leider kreist das familiäre Rollkommando bisweilen um eine leere Mitte, wobei es sich leider nicht um jenen seelischen Bankrott handelt, den Gorki messerscharf umreißt. Hier zieht der auf Krawall gebürstete Gott des Gemetzels die Fäden und lässt das Sippenmassaker bei aller Verve monoton wirken.

Der Zeithintergrund bleibt mit eingeblendeten Standbildern aus Eisensteins Film "Panzerkreuzer Potemkin" elektronische Fototapete, vor der sich sich das aufgekratzte Ensemble einen garstig-lustigen Abend macht.

Anja Lais gibt Iwans älteste Tochter Nadeshda als blondes Barbie-Püppchen, das skandinavische Weisen singt und mit Vater sowie dem virilen Bruder Alexander (Tim Porath) inzestelt. Lina Beckmann rückt die verkrüppelte Ljubow hart an der Rand der rabiaten Karikatur, Jan-Peter Kampwirth läuft als Pjotr immerhin bravourös Rollschuh, während Robert Dölles schmieriger Doktor die zynische Bilanz des Stücks zieht: Hier hat alles seinen in Rubel bezifferten Preis: Reputation, Posten, Schuld, Unschuld.

Am Ende blitzt im Tumult immerhin existenzielle Verzweiflung auf: Marie Rose Tietjen erzählt Weras triste Emanzipation: Wenn sie schon verhökert werden soll, will sie den ungeliebten Mann wenigstens selbst wählen. So hat der im schwach besetzten Saal stark beklatschte Ausklang gewiss seine Momente.

Nächste Termine: 28./29. Mai, 5.-8. Juni, je 19.30 Uhr sowie 9.6., 16 Uhr. Expo, Gladbacher Wall, Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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