"Propaganda für die Wirklichkeit" Sehenswerte Ausstellung in Leverkusen

Hiroshi Sugimotos Fotos verschweigen nichts: Der Japaner stellt seine Kamera in den theaterähnlichen Zuschauerraum historischer Kinos, richtet sie auf die Leinwand, öffnet beim Filmstart die Blende, schließt sie nach dem Schluss. Streng genommen befindet sich also die gesamte Information des Kino-Streifens auf dem Fotofilm, doch der Betrachter erblickt auf dem Abzug nur eine gleißend helle Fläche.

 Rollenwechsel: Der Künstler Rodney Graham gibt sich als alter Punk am Münzfernsprecher.

Rollenwechsel: Der Künstler Rodney Graham gibt sich als alter Punk am Münzfernsprecher.

Foto: Museum

Die Information ist nicht mehr abrufbar, nur noch eine Ahnung davon, pure Lichtenergie - oder pure Poesie. Realität und Abbild, Wirklichkeit und deren Wahrnehmung, die Rolle der Kunst als Propagandistin oder Verschleierung der Wirklichkeit: Das Museum Morsbroich in Leverkusen macht mit diesem Themenkreis, der die Künste strenggenommen seit der Antike beschäftigt, ein Riesenfass auf. Doch wer dieses Haus kennt, weiß, dass in der Regel dabei etwas Spannendes herauskommt.

Das ist auch bei der Schau "Propaganda für die Wirklichkeit" der Fall, in der Stefanie Kreuzer das schier uferlose Thema so bündelt, zuspitzt und anhand von Werken von 24 Künstlern aus neun Ländern von Francis Alÿs bis Christopher Williams so pointiert darstellt, dass sich ein wunderbares Feld der Bild-Skeptiker und Spekulanten, der Wahrheitsfanatiker und Manipulatoren, der Verspielten und wissenschaftlich Akribischen auftut. Im Eingangsraum hat die Kuratorin die gedanklichen Fäden ausgelegt, die den Besucher durch die Ausstellung leiten und immer wieder neue Anknüpfungspunkte bieten.

Da ist Sugimoto, Vertreter des einst als authentisch und objektiv bezeichneten Mediums Fotografie - das längst schon seine Unschuld verloren hat und der Manipulation überführt wurde. Sugimotos analoges Scharzweiß-Foto hält die entscheidende Information zurück. Den vollends virtuellen Weg geht hingegen das Düsseldorfer Duo Cieslik und Schenk - beide kommen von der Malerei, sind Schüler von Gerhard Richter.

Nichts von dem, was beide im Bild zeigen - von der Architektur bis zur Vase -, existiert wirklich, alles ist im Computer erzeugt, Lichtreflexe, Schatten, kleine Unregelmäßigkeiten inklusive. Spezieller Gag: Auf dem Bild eines Holztellers von Cieslik und Schenk klebt ein QR-Code. Wer den mit dem Smartphone abruft, bekommt ganz typische virtuelle Fantasywelten zu sehen - etwas ganz Anderes als das, was Cieslik/Schenk zu schaffen im Stande sind.

Die Morsbroicher Schau steckt voller Entdeckungen: Jörn Stoyas Spiegel bilden eben nicht nur das Umfeld ab, sondern erzeugen eine eigenwillige Architektur; der US-Amerikaner Paul Pfeiffer hat seine Filme vom Sonnenaufgang und -untergang so übereinandergeblendet, dass die Sonne als fixer Lichtpunkt zu sehen ist und sich der Horizont auf- und abbewegt. Ein irritierendes Bild, das der Wirklichkeit, aber nicht unserer Wahrnehmung entspricht.

Rodney Graham betreibt Wahrheitssuche durch Rollenwechsel, gibt sich einmal als alter Punk am Münzfernsprecher, ein anderes Mal als neuzeitlicher Renaissancemensch mit Flöte. Thomas Ruff interpretiert für seine fantastischen Fotos von Marslandschaften die Datenströme der Marssonde. Nachprüfbar ist das, was er uns vorsetzt, nicht.

Ruff operiert auch mit der Technik des Fotogramms, einer Fotografie ohne Kamera, bei der Foto-Papier direkt auf Objekte und Licht reagiert - die objektivste Form der Fotografie. Nur dass Ruff alles im Computer simuliert - was man seinen Riesenformaten aber nicht ansieht. Alles Lug und Trug. Man verlässt diese sehenswerte Schau einigermaßen verwirrt, aber um viele Erfahrungen reicher.

Museum Morsbroich Leverkusen; bis 4. Mai. Di-Sa 11-17, Do bis 21 Uhr. Eröffnung: Sonntag, 2. Februar, 12 Uhr

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