Retrospektive über August Sander Sehenswerte Schau: "Meisterwerke und Entdeckungen" mit Jungbauern auf der Pirsch

KÖLN · Die Kölner Photographische Sammlung zeigt ihre bislang größte Retrospektive über August Sander, und der Titel ist Programm.

 August Sanders "Jungbauern" (1914) aus "Menschen des 20. Jahrhunderts".

August Sanders "Jungbauern" (1914) aus "Menschen des 20. Jahrhunderts".

Foto: SK Stiftung Kultur

Der Dank kam vom Herzen, die Formulierung geriet etwas schräg: "Vielen Dank für das erschütternde Album 'Köln nach der Zerstörung'. Mit freundlichen Grüßen Adenauer." Das an den Fotografen August Sander gerichtete Kärtchen liegt in einer Vitrine der Kölner Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur, die erstmals in diesem Umfang einen retrospektiven Überblick über Leben und Werk Sanders bietet, der alle Facetten seines 60 Jahre umspannenden Oeuvres berücksichtigt.

Adenauers Dank trennt zwei bedeutende Sphären in Sanders Werk. Mit einer erstaunlichen Akribie hatte Sander - selbst Jahrgang wie Adenauer (1876) - das Leben und die Gestalt der Stadt dokumentiert, die seit 1910 sein Mittelpunkt war. Er hat die Kölner City hundertfach bei Tag und bei Nacht abgelichtet, den Eigelstein und den Dom vom Messeturm aus, außerdem den Heumarkt mit Friedrich-Wilhelm-Denkmal, ferner modernistische Architektur in den Randbezirken.

Sander war als Auftragsporträtist in allen Kölner Gesellschaftsschichten unterwegs, hat auch beim Karneval fotografiert und seine Freunde unter den Kölner Progressiven porträtiert. Und er war dabei, wenn das Gürzenich-Orchester unter Richard Strauss oder das Brühler Schlossquartett aufspielten.

1942 zwangen die Flächenbombardements der britischen Operation Millennium Sander zur Flucht in den Westerwald. Am Ende des Krieges verbrannte Sanders Archiv in Köln. Als er die Stadt wiedersah, lag sie in Trümmern. Sander hielt diese Verwüstung fest. Es sind, um mit Adenauer zu sprechen, erschütternde Dokumente der Zerstörung.

Die Ausstellungsregie lässt diesen düsteren Visionen Sanders den geradezu hochromantischen Rhein-Zyklus von 1930 folgen, wo sich ein barock bewegter Himmel über Siebengebirge und Rolandsbogen öffnet und die Ruine Heisterbach wie im Traum erscheint.

Das mit 350 Originalen, von Sander abgezogenen Fotografien bestückte eindrucksvolle Panorama startet mit frühen Familienbildern und Gruppenporträts wie "Wanderer am Hohenseelbachskopf" (1892), die schon Sanders Klasse erahnen lassen.

Die unbedingt sehenswerte Schau heißt "Meisterwerke und Entdeckungen": Der Titel ist Programm. Denn man versuchte, neben Ikonen wie dem "Konditormeister" und den fidelen "Jungbauern" auch weniger geläufige Aspekte und Figuren aus Sanders über 600 Fotos umfassendem Meisterwerk "Menschen des 20. Jahrhunderts" zu präsentieren.

Gasmänner und Revolutionäre, der Apotheker und die Sekretärin, der Komponist Hindemith und der Maler Hoerle bekommen in diesem Panorama ebenso ihren Auftritt wie die Zirkusfamilie, ein "abgebauter" Seemann und ein Mann, der schlicht als "arbeitslos" bezeichnet wird. Mit ihm endete - man schrieb das Jahr des Börsencrashs 1929 - das Werk "Antlitz der Zeit", dessen Bilder in den Komplex "Menschen des 20. Jahrhunderts" eingingen.

Technische Meisterschaft, die von der gelungenen Bildkomposition bis zu Beleuchtung und nicht zuletzt äußerster Akribie in der Behandlung der Grauwerte bei Belichtung und Abzug reicht, trifft auf ein künstlerisch-dokumentarisches Konzept, das die Spannung hält zwischen Typisierung der fotografierten Menschen und deren Individualität. Dies ist, verbunden mit Sanders begnadetem Auge für fesselnde, unvergessliche Gesichter, das Erfolgsrezept einer Fotografie, die auch nach Jahrzehnten nicht an Reiz verliert.

Die Photographische Sammlung, die 1992 den fotografischen Nachlass Sanders von seinem Enkel Gerd Sander erwarb und mittlerweile 10.500 Negative und 6000 Vintage-Prints besitzt, kann aus dem Vollen schöpfen. Und das tut sie auch - mit Bekanntem, aber auch Raritäten wie botanischen Studien, Fotos aus der Welt des Handwerks und Produktfotografie. Eine hochspannende, würdige Schau zu Sanders 50. Todestag, der am 20. April begangen wird.

Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur, Köln; 21. März bis 3. August. Do-Di 14-19 Uhr

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