Selbstsüchtige Egoisten im Euro Theater Central

BONN · Albert Camus' "Die Gerechten" wird im Euro Theater Central in Bonn aufgeführt.

Selbstsüchtige Egoisten im Euro Theater Central
Foto: Oliver Paul

Mein Unternehmen ist erfolgreich beendet worden. (...) Und ich bin froh, ich bin stolz auf die Möglichkeit, dafür zu sterben mit dem Bewusstsein der erfüllten Pflicht." Der russische Revolutionär Iwan Kaljajew, der im Februar 1905 mit einer Bombe den Großfürsten Sergej getötet hatte, sagte das in seiner Verteidigungsrede vor seiner Hinrichtung. Albert Camus nahm den historischen Fall zum Anlass für sein 1949 uraufgeführtes Drama "Die Gerechten". Es geht um die moralische Rechtfertigung des Terrors.

Brüderlichkeit ist ein Wert, für den man sein Leben einsetzt in der kleinen Gemeinschaft der revoltierenden "Gerechten". Das Euro Theater Central hat das Stück bereits 1976 zu Zeiten des RAF-Terrors auf die Bühne gebracht. Der Regisseur Jan Steinbach, der hier 2010 bereits Camus' "Der Fremde" sehr erfolgreich inszenierte, wurde 1976 geboren und wirft einen sehr präzisen Blick auf die zeitlosen Konflikte zwischen der Menschenliebe und dem Hass auf die Verhältnisse, die gewaltsam verändert werden sollen.

Der Gefahr, ein blasses Thesenstück zu präsentieren, entgeht Steinbach in seiner straffen Dialogführung geschickt. Er hält die Figuren perfekt auf dem schmalen Grat zwischen Identifikation und Distanz. Sie hocken auf Koffern in ihrer engen konspirativen Wohnung (expressive Ausstattung: Franz Dittrich), sind weltfremd und grenzenlos opferbereit für das Versprechen einer besseren Welt. Sie haben Angst vor dem Tod und begreifen ihn als höchstes Glück.

Eine paradoxe Wahrheit

Drei Männer und eine Frau planen einen Anschlag auf einen Vertreter der herrschenden Klasse. Fast zärtlich versteckt Dora die Bombe in einem Blumenstrauß. Doris Lehner spielt psychologisch vielschichtig die junge Terroristin, die eisern für die Sache kämpft.

Richard Hucke als dem Leben zugewandter, sensibler Poet Kaljajew brennt für die Revolution und scheitert bei seiner ersten Mordaufgabe. In der großfürstlichen Kutsche saßen zwei Kinder, die er nicht töten konnte. Frank Musekamp als Stepan gibt den coolen Hardliner und in der Rolle des Zellenwärters und Henkers Foka den ernüchterten Saubermann: Eine Hinrichtung erspart ihm ein Jahr Leiden. Typen wie Stepan gehörten zum System der kommunistischen Säuberungsmaschinerie. Andreas Kunz gibt Boris Annenkow, den unbestechlichen Leiter der Revolutionszelle, und den aasigen Geheimdienstler Skuratow.

Sie sind alle keine strahlenden Helden und machen sich die Hände schmutzig bei der Arbeit an einer hell gedachten und finster abgesagten Utopie. Dora wird plötzlich schreien bei Stepans Bericht von Kaljajews Hinrichtung. Sie wird die Bombe lieben, Schulen und Theater sprengen und aus Begeisterung für das freie Leben sterben. Selbstmordattentäter sind selbstsüchtige Egoisten und für die Organisation des Widerstandes nicht brauchbar, hat Stepan gesagt. Eine paradoxe Wahrheit, die nach pausenlosen 90 konzentrierten Minuten keiner mühsamen Aktualisierung mehr bedarf.

Weitere Vorstellungen am 25./26. Januar und am 14./15. Februar. Infos unter www.eurotheater.de

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